Der kleine Bruder: Der kleine Bruder
einen, dann zur anderen Seite hinunterblickte. Viel war dabei nicht zu sehen, der scharfriechende Nebel verhüllte alles, was weiter als einen Steinwurf entfernt war, und das Wasser unter ihm war glatt und reglos. Rauchend und hustend ging er weiter, die Admiralstraße hinunter und zum Kottbusser Tor, wo er vor einer Sparkasse anhielt, um im Licht ihrer Schaufenster noch einmal auf den Stadtplan zu schauen. Einige Punks, die in der Nähe mit ihren Hunden und ihren Bier- und Schnapsflaschen lagerten, riefen ihm etwas zu, aber er verstand kein Wort und fragte auch nicht nach, sondern ging weiter die Adalbertstraße entlang bis zur Naunynstraße.
Das besetzte Haus war dunkel wie in der Nacht zuvor, und Frank fragte sich, ob die ArschArt-Leute alle nach hinten raus wohnten oder die Fenster absichtlich verdunkelt hatten oder ob sie nur wieder, wie am Abend zuvor, bis auf Jürgen alle nicht da waren. Die Fenster im Hochparterre waren jedenfalls von außen mit Brettern zugenagelt, aber ob das weiter oben auch so war, konnte er nicht erkennen, ebensowenig wie die Aufschrift auf dem Transparent, es war schon wieder zu dunkel dazu. Er schaute unter dem Wackerstein nach, und tatsächlich lag da wieder der Schlüssel zum Haus, eine rätselhafte Sorglosigkeit ist das, dachte er, sie vernageln die Fenster im Hochparterre, lassen aber den Schlüssel herumliegen, obwohl, andererseits ist das irgendwie auch logisch, dachte er, das eine ist Öffentlichkeitsarbeit, das andere einfach nur praktisch.
Er öffnete die Tür und ging gleich hoch zum zweiten Stock, wo Jürgen wohnte. Hinter der Plastikplane brannte Licht. Er klopfte gegen den Türrahmen, einmal, zweimal, aber nichts passierte. Er schob die Plane beiseite, rief “Hallo« und betrat den Raum. Jürgen schlief angezogen und mit verschränkten Armen auf dem Sofa. Während Frank noch überlegte, ob er ihn wecken sollte, schlug er die Augen auf und sah ihn an.
»Was gibt’s?« sagte er.
»Du mußt mir mal zeigen, wo Immel hier wohnt«, sagte Frank. »Ich kann doch nicht durch das ganze Haus laufen und überall nachgucken.«
»Wieso«, sagte Jürgen. »Wo ist das Problem?«
»Welches Problem?« sagte Frank.
»Der wohnt doch ganz oben«, sagte Jürgen.
»Immel?«
»Ja. Im vierten Stock.«
»Aha«, sagte Frank.
»Einfach nach oben gehen und dann da klopfen. Im vierten Stock rechts.«
»Okay«, sagte Frank. »Danke.«
Jürgen antwortete nicht, sondern schloß nur wieder die Augen.
Auf dem Weg in den vierten Stock begegnete Frank einem von den Leuten, die er mit Immel im Krahl-Eck gesehen hatte, einem großen, dünnen Kerl mit Akne.
»Wo willst du denn hin?« fragte er.
»Was geht’s dich an?!« sagte Frank, der keine Lust hatte, höflich zu sein.
»Hier kann nicht einfach jeder rumlaufen, wie er will!« sagte der andere.
»Das gilt dann aber auch für dich«, sagte Frank.
»Ich wohne hier, und du hast hier nichts zu suchen.«
»Das kann ja jeder sagen.«
Der andere, der ein paar Treppensrufen weiter oben stand, hob einen Fuß vor Franks Gesicht.
»Hau ab, du Wichser«, sagte er.
»Ich sag’s Immel, der wird dir den Arsch versohlen«, sagte Frank.
»Wieso?«
»Weil ich mit Immel verabredet bin, und wenn der mitkriegt, daß du mich rausgeschmissen hast, dann wird er dir den Arsch versohlen.«
»Wie, mit Immel verabredet?«
»Ich bin mit Immel verabredet. Um fünf.«
»Das ist noch keine fünf.«
»Doch.«
»Nein.«
»Doch. Ist doch draußen schon dunkel.«
»Na und? Das ist noch keine fünf.«
»Doch.« Frank ging einfach weiter, und der andere nahm den Fuß herunter und machte auf der Treppe etwas Platz. Frank hatte große Lust, sich mit ihm zu prügeln, aber dann war er auch schon vorbei und der Moment dazu verpaßt.
Auch vor P. Immels Wohnung war statt einer Tür nur eine Plane, und Frank hielt sich nicht lange mit Klopfen auf, mit einem forschen »Hallo, ist da wer?« schob er die Plane beiseite und betrat einen ähnlich großen Raum wie den im zweiten Stock, nur war dieser hier viel gründlicher und gediegener eingerichtet, es gab eine Schrankwand, Teppiche, eine Sitzecke mit Sofa und Sesseln und Couchtisch und eine Kochzeile mit Küchentisch und Stühlen, und an diesem Tisch saß P. Immel und aß etwas, das er mit einer Gabel aus einem Glas fischte.
»Ah, der kleine Bruder, was gibt’s?« sagte er.
»Ich will die Sachen von Freddie abholen«, sagte Frank.
»Hast du einen Laster dabei?« sagte P. Imme!.
»Nein, wieso?«
»Guck mal aus dem
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