Der kleine Dämonenberater
während des Verhörs hatte Detective Sergeant Alphonse Rivera eine Vision. Er sah sich selbst hinter dem Tresen eines Seven-Eleven, wie er Burritos eintütete und becherweise Slush-Puppies abpumpte. Es gab keinen Zweifel, daß der Verdächtige, Robert Masterson, die Wahrheit sagte. Was die Sache noch schlimmer machte, war, daß er nicht nur absolut nichts mit dem Marijuana zu tun hatte, das Riveras Leute im Trailer gefunden hatten, sondern daß er auch absolut nicht den blassesten Schimmer hatte, wohin The Breeze verschwunden war.
Der stellvertretende Distriktsanwalt, ein übereifriges Wiesel, der nur so lange seine Zeit bei der Staatsanwaltschaft abriß, bis seine Klauen scharf genug waren, um sich selbstständig zu machen, hatte die Position des Staates in dieser Angelegenheit mit einfachen Worten unmißverständlich klargemacht: »Sie sind am Arsch, Rivera. Lassen Sie ihn laufen.«
Der einzige dünne Strohhalm, an den Rivera sich jetzt noch klammerte, war der zweite Koffer – derjenige, wegen dem Masterson bei seiner Verhaftung im Trailer so einen Aufstand gemacht hatte. Er lag nun aufgeklappt vor Rivera auf dessen Schreibtisch. Ein Wust von Notizblättern, Cocktailservietten, Streichholzheftchen, alten Visitenkarten und Einwickelpapier von Schokoriegeln starrte ihm entgegen. Auf jedem Zettel war ein Name samt Adresse und einem Datum notiert. Die Daten konnte man wohl vergessen, denn manche davon trugen Jahreszahlen aus den Zwanzigern. Rivera hatte den ganzen Haufen schon ein dutzendmal durchforstet, ohne daß er irgendwas davon in Zusammenhang bringen konnte.
Deputy Perez trat an Riveras Schreibtisch. Er gab sich allergrößte Mühe, mitfühlend zu erscheinen, doch er war nicht sonderlich erfolgreich in seinen Bemühungen, weil bei allem, was er an diesem Morgen sagte, eine gewisse Häme nicht zu überhören war. Wie hatte es Mark Twain schon so treffend auf den Punkt gebracht: »Man unterschätze niemals die Anzahl derer, die einen liebend gerne scheitern sähen.«
»Schon was gefunden?« fragte Perez. Und wieder dieses falsche Lächeln.
Rivera blickte von den Papieren hoch, nahm sich eine Zigarette und zündete sie an. Seufzend stieß er eine Rauchwolke aus.
»Ich kann einfach keinen Zusammenhang zu The Breeze erkennen. Ich weiß nicht, was er mit all dem Kram zu tun haben könnte. Die Adressen hier sind über das ganze Land verteilt. Und die Daten können einfach nicht stimmen, dafür reichen die Jahreszahlen zu weit zurück.«
»Vielleicht ist es eine Liste von seinen Connections, an die er das Pot verticken wollte«, schlug Perez vor. »Sie wissen ja, das FBI schätzt, daß etwa zehn Prozent des Drogenhandels auf dem Postweg abgewickelt werden.«
»Und was ist mit den Jahreszahlen?«
»Irgendein Code vielleicht. Ist es seine Handschrift?«
Rivera hatte Perez zurück zum Trailer geschickt, damit er eine Schriftprobe von The Breeze brachte. Er war mit einer Ersatzteilliste für einen Ford-Laster zurückgekommen.
»Haut nicht hin«, sagte Rivera.
»Vielleicht hat seine Connection die Liste geschrieben.«
Rivera blies Perez eine Rauchwolke ins Gesicht. »Denken Sie doch mal eine Sekunde nach, Sie Hirsel. Seine Connection war ich.«
»Na ja, dann hat jemand Sie verpfiffen, und The Breeze hat sich aus dem Staub gemacht.«
»Und warum hat er das Gras nicht mitgenommen?«
»Ich weiß auch nicht, Sergeant. Ich bin nur Streifenpolizist in Uniform. Hier muß halt ein richtiger Detective ran, denke ich.« Perez versuchte gar nicht mehr, sein süffisantes Grinsen zu verbergen. »An Ihrer Stelle würde ich den Kram zu Spider bringen.«
Mit dieser Auffassung stand er nicht alleine da – jeder, der den Koffer gesehen oder davon gehört hatte, war Rivera mit dem Vorschlag gekommen, daß er ihn zu Spider bringen sollte. Rivera lehnte sich in seinem Stuhl zurück und rauchte seine Zigarette zu Ende. Noch einmal genoß er die letzten Momente der Ruhe, bevor es sich nicht länger vermeiden ließ, Spider Auge in Auge gegenüberzutreten. Er zog noch ein paarmal tief an seiner Zigarette, zerdrückte sie dann in dem Ascher auf seinem Schreibtisch, räumte die Papiere in den Koffer, klappte ihn zu und machte sich dann auf den Weg in die finsteren Gewölbe des Reviers, wo Spider hauste.
Im Verlauf seines Lebens war Rivera einem halben Dutzend Männern begegnet, die den Spitznamen Spider trugen. Meist handelte es sich dabei um große Männer mit hageren Gesichtszügen, die von einer nervösen Betriebsamkeit
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