Der kleine Erziehungsberater
Riese auf einem Planeten steht, ist der Planet dann immer noch höher?«
Dann sitze ich da und bin klein, blöd und unfähig, weil ich keine einzige Frage beantworten kann, ja, weil ich sie nicht einmal verstehe. Ich sage dann: »Ach, Anne, erklär’ du mir lieber was.« Und Anne sagt: »Gut, dann erkläre ich dir, wie ein Mensch gemacht wird.«
»Hoppla«, denke ich, »woher weiß sie das denn mit ihren sechs Jahren?«
Anne sagt: »Zuerst wird der Kopf gemacht, aus Ton. Die Haare und die Knochen werden da hineingetan. Dann wird die Haut darüber gemacht, und oben macht man Löcher hinein, damit die Haare hinauswachsen können. Dann werden Knochen genommen und mit Haut bespannt – das sind dann die Lippen. Die muss er rot anmalen, der liebe Gott. Dann werden die Zähne reingesteckt und weiß angestrichen. Wie man die Augen macht, weiß ich nicht, aber die müssen ganz vorsichtig angemalt werden, damit der Spiegel nicht kaputtgeht; in den Augen spiegelt sich ja alles. Dann wird der ganze Rest gemacht, wieder aus Ton und wieder Haut drüber. Und ganz am Anfang muss ja erst noch der liebe Gott vom lieben Gott gemacht werden, weil der liebe Gott macht ja alles, auch sich selber.«
Ich war erstaunt, weil ich davon keine Ahnung gehabt hatte. Später hat Anne dann wieder Fragen gestellt. Als ich ihr aus Pippi Langstrumpf im Taka-Tuka-Land das Kapitel vorlas, in welchem Pippis Vater, der Negerkönig Efraim I., vorkommt, hat Anne wissen wollen: »Papa, warum bist du kein Negerkönig?« Und ich wusste wieder keine Antwort, verdammt.
Karius & Baktus
V or einigen Jahren haben wir eine Tonbandkassette mit einem kleinen Hörspiel geschenkt bekommen.
Von einem Jungen namens Jens war da die Rede, der sich nie die Zähne putzte und in dessen Gebiss deshalb zwei winzige Widerlinge namens Karius und Baktus große Löcher hackten, bis Jens entsetzliche Zahnschmerzen bekam. Die Kinder haben das interessant gefunden. Auch ich habe die Kassette seither wohl tausendmal hören dürfen. Wir brauchen sie eigentlich gar nicht mehr. Wir können sie nämlich auswendig.
Pädagogisch haben wir dieses liebe Geschenk folgendermaßen eingesetzt: Die Kinder mussten fortan unter unserer Aufsicht Zähne putzen. (»Zähneputzen« ist übrigens ein zusammenhängendes Verb, »ich zähneputze«, sagt Max, »du zähneputzt, er zähneputzt …«) Jedes Mal, wenn sie Zahncreme ins Waschbecken spuckten, haben Antje oder ich gerufen: »Schau, da ist der Baktus drin. Noch ein bisschen weiterputzen, dann kommt der Karius auch noch.« Oder so ähnlich halt. Es geht seit Jahren so, ich sagte es schon.
Die Sache ist zur Routine geworden. Irgendwann sind wir beim Zähneputzen mal rausgegangen, bis Max und Anne gerufen haben: »Was ist da drin?« Dann sind wir gekommen, haben kurz geschaut und haben mürrisch gesagt: »Der Karius.« Oder: »Die Hälfte. Schön weiterputzen!« Es kam der Tag, an dem ich gar nicht mehr hingegangen bin. Max hat ins Erdgeschoss runtergebrüllt: »Was ist da drin?« Und ich habe in den zweiten Stock hinaufgeschrien: »Die Hälfte.« Oder: »Dreiviertel.«Oder: »Alles.« Irgendwie scheinen die Kinder zu glauben, wir hätten seherische Fähigkeiten. Oder sie brauchen dieses Ritual. Jedenfalls fragen sie immer wieder, morgens um sieben und abends um sieben: »Was ist da drin?«
Was soll ich jetzt machen? Soll ich ihnen erklären, dass es Karius und Baktus nicht gibt? Dass ich in diesem weißen Zahncremeschaum genauso wenig erkenne wie sie? Das geht nicht. Dann glauben sie mir am Ende nichts mehr.
Also brülle ich weiter, aus dem Garten, aus der Küche, aus dem Bett: »Die Hälfte!« Lassen wir die Dinge, wie sie sind. Elternschaft ist eine Form milden Irreseins, da kommt es auf ein Zähneputzritual auch nicht mehr an.
So wird es gehen bis in alle Ewigkeit. Ich werde eines Tages im Schaukelstuhl eines Seniorenheims sitzen, und das Telefon wird zweimal am Tag klingeln, und ich werde ein wenig schwerhörig sein, und mein Sohn, der dann als Cola-Manager in Atlanta/Georgia leben wird, wird in mein Ohr schreien: »Was ist da drin?« Und ich werde zurückbrüllen über den Atlantik und halb Nordamerika: »Die Hälfte! Weiterputzen!«
Tödliche Doris
M anchmal wär’ ich am liebsten Mittelfeldmotor von Beruf und hieße vielleicht Lothar Matthäus, oder gern wär’ ich auch Wimbledonsieger oder wenigstens Kranführer – irgendwas jedenfalls, unter dem ein kleiner Junge sich was vorstellen kann. Journalist! Neulich mussten sie im
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