Der kleine Erziehungsberater
»Max«, sagte ich, »dann bleib eben hier, wir sind ja gleich wieder da.«
»Ich will aber mit!«, brüllte Max.
Ich schwitzte und hatte Hunger. »Ich laufe jetzt alleine schnell zum Bäcker, bleibt alle hier!«, schrie ich. »Dieser Semmelstiefelwahnsinn!« Schrilles Gebrüll, dreistimmig. So würdees nicht gehen. »Dann zieh in drei Teufels Namen deine Turnschuhe an, Max, aber patsch nicht in jede Pfütze damit. Und hol dir trockene Strümpfe vorher.«
»Manno, dann muss ich ja schon wieder nach oben in mein Zimmer.«
Marie war inzwischen auch hinausgegangen. Weil Anne die Haustür geöffnet hatte, hatten die Nachbarn alles mitgehört und sich neugierig vor unserem Haus versammelt. Max kam mit Turnschuhen wieder und ging hinaus.
»Aaaaaah!!!«, brüllte Anne. »Er darf seine Turnschuhe anziehen, aber ich nicht die Lackschuhe!« Die Nachbarn betrachteten mich erwartungsvoll. Marie war bereits in eine Riesenpfütze gefallen und hüftabwärts vollkommen durchnässt. Max wollte lieb sein und half ihr wieder auf die Beine, wobei er bis zu den Knöcheln mit den Turnschuhen ins Wasser trat. Ich nahm Marie auf den Arm. Auf meinem Mantel bildeten sich große Schlammflecken.
So machten wir uns auf den Weg, bahnten uns eine Gasse durch die Menschenansammlung, eine kleine Karawane, hungrig, schmutzig, verschwitzt, entnervt. Wir holten frische Semmeln. Zum letztenmal für viele Jahre.
Affe tot
A ch, in unserem Garten liegt ein tot-tot-toter Gorilla! Schrecklich und dunkel, die Leiche unterm Fliederbusch, und vor mir die Leserpost. Frau K. aus M. schreibt, der Erziehungsberater sei offenbar einer jener toleranten Väter, die ihren Kindern gute Kameraden sein wollten. Kinder aber wollten Grenzen!
Als der Gorilla kam, war er groß und schwarz, größer als Anne, und die ist schon sechs Jahre alt, und schwärzer als Max, und der ist manchmal sehr schwarz, besonders wenn er vom Fußballplatz kommt. Ich hab’ ihn selbst mitgebracht, einen schwarz-schwarz-schwarzen aufblasbaren Gummi-Gorilla. Nun liegt er da unten, ich sehe ihn aus dem Fenster. Liebe Frau K., wir leben in einer Gesellschaft, in der es keine Grenzen gibt, in der jeder tut, was er will. Die Erwachsenen sind kindisch und die Kinder erwachsen. Große Menschen fahren Fahrrad in lächerlichen, über ihre fetten Körper gespannten kanariengelben Klamotten; kleine Menschen sehen fern bis in die Puppen und werden von den Werbefilmern dazu abgerichtet, ihren Eltern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Aber ich soll Grenzen setzen, ja?!
Gorilla-Leichen im Garten – das hat auch nicht jeder. Die Kinder haben wunderbar mit dem Riesentier gespielt, haben es überallhin mitgeschleppt, ins Schwimmbad und zu den Freunden, aber ziemlich bald ist Marie mit diesem King-Kong in den Armen am Rosenstrauch vorbeigegangen, und seitdem istirgendwo ein kleines Loch, und langsam entweicht die Luft. Hören Sie, Frau K.! Wir halten die Kleinen vom Fernseher fern, weil wir glauben, dass Kinder nicht fernsehen sollten. Wir geben ihnen kaum Süßigkeiten, weil wir sie gesund ernähren wollen. Sie bekommen möglichst wenig Spielzeug, denn wir möchten sie nicht verwöhnen. Aber die Kinder haben Freunde, die immerzu fernsehen dürfen, die so viel Süßigkeiten bekommen, wie sie wollen, und in deren Zimmern sich die Spielzeugberge türmen. Ich beklage mich nicht. Ich sage nur: Es ist nicht so einfach, sich nicht zum Affen machen zu lassen.
Ach, in meinem Garten liegt ein tot-tot-toter Gorilla! Vielleicht sollte ich dieses Loch reparieren, aber ich weiß nicht genau, wo es ist. Außerdem bin ich zu faul. Es ist gerade so schön ruhig. Müsste ein guter Vater das Loch aber nicht doch zukleben? Frau K.? Frau Kahaa! Mir lässt Ihr Brief keine Ruhe. »Hilflose Väter, fern jeder Autorität – sind das die Väter, die Kinder sich wünschen?«, haben Sie geschrieben. Sie scheinen mich für einen Waschlappen zu halten. Ich fürchte, mein Sohn hält mich für einen autoritären Knochen, weil ich ihn heute wieder unter groben Drohungen zum Zähneputzen gezwungen habe. Kinder nehmen ja ohne Debatte nichts mehr hin. Ich ziehe eine Grenze nach der anderen, aber die Kinder akzeptieren sie einfach nicht. Eigentlich prima, solche Kinder. Sie sind nur etwas anstrengend.
Es gibt nichts Lächerlicheres als einen aufgeblasenen Gorilla, der auf dem Rücken liegt, während ihm leise die Luft entweicht. Dabei war er den Kindern ein guter Kamerad. Vor zwei Tagen noch ragten Arme und Beine in den Himmel, nun liegen
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