Der Kleine Mann und die Kleine Miss
Betten im Pichelsteiner Gasthof
sind zu kurz. Das längste misst siebzig Zentimeter. Da müsste man für mich drei
Betten hintereinander stellen, aber dafür sind die Zimmer zu klein.«
»Selbstverständlich
kommen wir mit«, erklärte Rosa Marzipan resolut. »Der Junge soll endlich die
Heimat seiner Eltern kennen lernen.«
»Ist
es dir recht?«, fragte der Jokus behutsam.
Mäxchen
sah ihn unschlüssig an. »Ich möchte schon«, sagte er.
»Aber
ich habe auch ein bisschen Angst davor.«
»Wir
sind ja bei dir«, meinte der Professor.
»Das
stimmt. Denn sonst... Lauter kleine Menschen, die Pichelsteiner heißen und mit
mir verwandt sind und erzählen werden, dass sie mit meinen Eltern in der Schule
waren…«
Als
sie früh am nächsten Morgen in München abfuhren, war es noch finster und
neblig. Später, als es heller wurde, löste sich der Nebel auf, und in
Regensburg schien schon die Sonne. Der Himmel wurde seidenblau. Die Bäume waren
bunt wie Herbststräuße.
Hinter
Regensburg ging es durch Dorfstraßen. Der Weg führte bergan und durch Wiesen
und Wälder.
»Dort
oben liegt Pichelstein«, sagte Drinkwaters Chauffeur.
Und
damit beginnt...
DAS SECHSTE
KAPITEL
»Achtung, beim Besuch der Kirche und des Rathauses bücken!«
/
Seit wann ist die Riesenwelle erblich? / Mäxchens
nachgemachte Eltern / Kommissar Steinbeiß kommt aus
Südamerika zurück /
Señor Lopez wird fotografiert und flieht.
Neben
der Landstraße stand ein Schild. Sie hielten und lasen:
»Achtung!
Kein Durchgangsverkehr! Parkplatz vorm Ortseingang! Übernachtungsgelegenheit
nur für Kinder bis 50 cm! Beim Besuch der Kirche und des Rathauses bücken! Wir
bitten um Verständnis! Willkommen in Pichelstein! Alois Pichelsteiner,
Bürgermeister.«
Rosa
Marzipan lachte. »Da werden wir am besten auf allen vieren kriechen.
Hoffentlich sind die Dorfstraßen breit genug.«
»Für
uns Männer schon«, meinte der Jokus.
»Sei
nicht so frech«, sagte Rosa, »sonst löse ich unsere Verlobung auf.«
Doch
dann schwiegen sie und blickten gespannt nach rechts.
Denn
durch die herbstlichen Stoppelfelder rumpelte ein winziger Leiterwagen, den ein
Pony zog. Der Wagen war nicht größer als ein Handkarren, und der Bauer sah aus
wie ein Junge im ersten Schuljahr. Aber er war ein grauhaariger Mann. Er winkte
dem Auto, als er aus dem Feldweg in die Landstraße einbog.
»Es
sieht aus wie eine Kinderkutsche im Zoo«, meinte Mister Drinkwater.
»So
groß wie der alte Bauer war dein Vater«, sagte der Jokus zu Mäxchen, der hinter
dem kleinen Wagen dreinblickte.
Der
Junge saß auf der Schulter des Professors, blickte auf die vielen kleinen
Rechtecke der Wiesen und der umgepflügten Felder rechts und links und schwieg.
»Ob
die Kartoffeln hier so groß sind wie bei uns?«, fragte der Chauffeur. »Dann
haben sie’s verdammt schwer mit der Ernte.«
Mäxchen
sagte: »Nun werden also zwei aus dem Dorf beim Filmen tun, als wären sie meine
Eltern.«
Der
Empfang fand am Parkplatz statt, nachdem die Gäste aus dem Auto gestiegen
waren. Die Feuerwehrkapelle, lauter kleine Männer mit kleinen Instrumenten,
spielte den Pichelsteiner Marsch. Der Jubel der Einwohner, so klein sie waren,
war riesengroß. Alois Pichelsteiner, der Bürgermeister, hielt eine gewaltige
Rede. Ferdinand Pichelsteiner, der Vorsitzende des Turnvereins, begrüßte
Mäxchen als Ehrenmitglied. Mister Drinkwater überreichte dem Bürgermeister, als
Dank für die Mitwirkung der Gemeinde am Film, einen Scheck auf die Deutsche
Bank. Und Ferdinand Pichelsteiner kündigte Mäxchen ein Geschenk an, das ihn
immer an den Turnverein Pichelstein 1872 erinnern möge.
»Wir
sind eine Turngemeinde seit fast hundert Jahren«, rief er.
»Deine
lieben Eltern waren bei uns Vorturner. Sie trugen unseren Ruf in die Welt
hinaus. Du, verehrtes Ehrenmitglied, hast ihre Talente geerbt und gemehrt. Was
könnten wir dir Besseres und Schöneres schenken als – ein Turngerät? Der Schlossermeister
Fidelis Pichelsteiner und meine Wenigkeit haben dir aus feinstem Stahl ein
Hochreck gebaut, deiner Größe angemessen, mit vierfach verstellbarer
Reckstange. Dazu gehört ein weicher Filzteppich, zehn Zentimeter im Quadrat,
damit du dir, wenn du die Schwungkippe und die Riesenwelle und den Absprung in
der Grätsche übst, nicht die Knöchelchen brichst. Deine Eltern waren Turner,
ehe sie Artisten wurden. Du bist ein Artist, nun werde ein Turner, wie es sich
für einen Pichelsteiner von echtem Schrot und Korn
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