Der Kleine Mann und die Kleine Miss
Ohr
versteht nur Englisch oder Japanisch oder Portugiesisch.«
»Das
stimmt nicht«, meinte Mäxchen. »Mademoiselle Odette versteht fünf Sprachen.«
Fräulein
Odette lachte. »Es gibt mehr als fünf. Verlass dich drauf. Es gibt Hunderte.«
»Mir
genügen fünf«, sagte Mister Drinkwater. »Auch das sind noch vier Sprachen zu
viel. Doch ich kann’s nicht ändern. Ich bin kein Ohrenarzt, sondern Kaufmann.
Ich will nicht die Welt verbessern. Ich will Filme machen, die man überall
versteht, damit ich sie überallhin verkaufen kann.« Dann legte er den Zeitplan
fürs Synchronstudio, das er gemietet hatte, auf den Tisch und eröffnete ein
Fachgespräch, in dem von Versionen und ›takes‹ und Terminen für die
Musikaufnahmen und fürs ›Überspielen‹ und davon die Rede war, wie viele Kopien
gezogen werden müssten.
Die
Unterhaltung dauerte drei Stunden und ihr hättet kaum den zehnten Teil verstanden.
Ein wahres Glück, dass ihr nicht dabei wart. Die Wirtin blieb an der Tür
stehen, nachdem sie das Licht angeknipst hatte. Doch dann zuckte sie die
Achseln, ging in die Küche zurück und sagte zur Köchin: »Eher verstehe ich
Chinesisch.«
»Na
und?«, fragte die Köchin ungerührt. »Die einen machen Filme, die andren machen
Knödel. Hauptsache, dass jeder seinen Kram versteht. Mehr wäre zu viel.«
Um
sieben Uhr am Abend redete Mister Drinkwater immer noch.
Er
wurde wieder einmal nicht müde. »Am 30. November fliege ich nach Genua, begebe
mich an Bord meiner Jacht ›Sleepwell‹
und
bin einen Monat lang für niemanden zu sprechen. Dass mir mit den Kopien der
Fernsehserie alles klappt!«, sagte er. »Der erste Teil läuft am ersten
Weihnachtsfeiertag über dreißig Stationen.
Wer
einen Fehler hineinbringt, kriegt es mit mir zu tun.«
»Aber
nicht, bevor Sie ausgeschlafen haben«, bemerkte Herr Wegehenkel. Und Herr
Sohnemann ergänzte: »Also nicht vorm 1. Januar. Da können wir ja vorher noch in
aller Ruhe Silvester feiern.«
Drinkwater
sagte düster: »Es wäre Ihr letztes.« Und weil Mäxchen lachte und auch Rosa
Marzipan herausplatzte, fuhr er noch düsterer fort: »Ich fürchte, ich werde in
diesem Kreise nicht ernst genommen.« Jetzt lachten alle miteinander. Denn sie
hatten den langen Amerikaner sehr gern, und sie wussten, dass er es wusste.
In
diesem Augenblick ging die Tür auf. Ein Taxichauffeur stellte zwei Koffer in
die Stube, brummte »Grüß Gott!« und verschwand. Dann geschah eine Weile gar
nichts.
Schließlich
hörte man kräftige Schritte. Im Türrahmen erschien ein braun gebrannter Mann.
Und Mäxchen rief: »Das ist ja Kriminalkommissar Steinbeiß!«
Nach
viel Hallo und etwas Whisky sahen sie sich im Vorführraum den Farbfilm an, den
der Kriminalkommissar aus Südamerika mitgebracht hatte. Der Film war kurz. Und
er war stumm.
Deshalb
übernahm Herr Steinbeiß, als das Deckenlicht erlosch und die Leinwand hell
wurde, den Kommentar. Er erklärte, was es zu sehen gab.
»Auf
diesem abgelegenen Hochplateau vor Ihren Augen«, so begann er, »herrscht
subtropisches Klima. Es ist ein fruchtbares Land. Künstliche Bewässerung tut
ein Übriges. Man pflanzt und erntet Zuckerrohr, Baumwolle, Wein, Bananen und
Feigen, aber auch Kartoffeln, Weizen, Mais und Gerste. Die Bauern sind
Nachkommen der Araucos, eines Indianerstamms, der in früheren Zeiten den Inkas
und bis ins 18. Jahrhundert den Spaniern das Leben schwer gemacht hat. Heute
treiben sie Landwirtschaft und Viehzucht, benutzen Lamas als Lastesel, lieben
Pferde und leben in Ranchos aus Lehm oder Wellblech. Das Dorf zur Linken heißt
San Cristobal. Hier fanden wir Unterkunft. Die ersten Wochen filmten wir
Kolibris, Schmetterlinge und Papageien. Wir kurbelten Kakteen, Zypressen,
Magnolien, kleine Kinder, Lorbeerbäume, verwitterte Großmütter vor der Haustür,
Schafe bei der Schur, die Schneegipfel der Kordilleren im Osten, kurz, wir
führten uns auf, als drehten wir einen Schulaufsatz mit der Überschrift ›Mein
schönstes Ferienerlebnis‹!«
»Ein
teurer Schulaufsatz«, stöhnte Drinkwater. »Und das alles für mein Geld.« Doch
dann wurde er mucksmäuschenstill. Denn auf der Leinwand erschien eine alte
graue Burg. Mit Mauern, Zinnen und Schießscharten und mit einem dicken runden
Turm.
Hinter
den Schießscharten patrouillierten bewaffnete Wachtposten.
»Da
wohnt er also, der Señor Lopez«, flüsterte Mäxchen aufgeregt.
»Es
handelt sich um ein Kastell, das im 17. Jahrhundert einer der spanischen
Vizekönige bauen ließ«,
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