Der Kleine Mann und die Kleine Miss
ziemt!«
Die
Feuerwehrkapelle spielte einen Tusch. Die Pichelsteiner brüllten »Bravo«. Und
schon kam ein Eselgespann um die Ecke getrabt. In dem Wagen stand ein kleiner
Tisch und auf dem Tisch hatte man das winzige Hochreck montiert. Alles staunte.
Alle klatschten.
Mäxchen
beugte sich weit aus der Brusttasche des Professors und rief: »Liebe
Namensvettern, liebe Freunde meiner Eltern! Wir danken euch für den festlichen
Empfang, und ich danke euch für das wundervolle Geschenk. Ich werde euer Hochreck
stets hoch in Ehren halten. Doch zunächst einmal muss ich probieren, ob die
Maße stimmen. Artisten sind gründlich.« Und ehe man sich’s versah, hing der
kleine Mann längelang an der Reckstange.
Der
Esel stellte die Löffel hoch. Ihm war ungemütlich zumute, weil er nicht sehen
konnte, was hinter ihm vorging. Aber er hielt still wie ein Denkmal, das die
Ohren spitzt.
Mäxchen
hing also eine Weile regungslos am Reck.
Dann
hob er langsam die Beine bis zur Waagrechten, brachte die Füße aus der
Vorhebhalte, bei durchgedrückten Knien, bis an die Reckstange, schob die Beine
senkrecht höher, schwang nach vorn weit aus, schwang zurück, machte die
Schwungstemme und eine Bauchwelle vorwärts und pausierte kurz, auf die Stange
gestützt, um mit den Fingern nachzugreifen. »Das ist lustig«, sagte er zum
Jokus, der erschrocken neben dem Karren niedergekniet war.
»Du
bist ja total übergeschnappt«, meinte der Jokus. »Mach, dass du
herunterkommst!«
»Nur
noch ein paar Sekunden. Es gefällt mir so. Streck, bitte, die Hand aus.« Und
ehe ihn der Jokus vom Reck pflücken konnte, schwang Mäxchen erneut durch die
Luft. Hoch, höher, am höchsten. Die Arme und Beine gestreckt. Und plötzlich
wurde eine Riesenwelle daraus, dann die zweite und dritte. Wie ein
Sekundenzeiger rotierte er ums Reck. Dann hielt er im Handstand auf der
vibrierenden Stange inne, rief »Juhu!« und sprang, mit gegrätschten Beinen,
übers Reck und mitten in die ausgestreckte Hand, die ihm der Jokus
entgegenhielt. Er brachte sogar die abschließende Kniebeuge fehlerlos zustande.
»Der
Junge zehrt an meinen Nerven«, erklärte Rosa Marzipan aufgeregt. Doch das hörte
niemand, weil sämtliche Pichelsteiner klatschten. Ferdinand Pichelsteiner
drängte sich nach vorn und fragte: »Wo hat er das gelernt?«
»Nirgendwo«,
antwortete der Jokus, der den kleinen Mann in die Brusttasche stopfte.
»Seine
Eltern konnten’s natürlich«, sagte Ferdinand Pichelsteiner. »Aber seit wann ist
die Riesenwelle erblich?«
Mäxchen
kicherte. »Ich habe beim Fernsehen zugeschaut. Bei den Weltmeisterschaften. Die
russischen und die japanischen Geräteturner sind fabelhaft.«
»Die
Grätsche am Hochreck lernt man nicht durchs Fernsehen«, stellte Turnvater
Ferdinand fest.
»Ich
schon«, behauptete Mäxchen. »Ich bin Artist.«
»Das
weiß ich«, sagte Ferdinand Pichelsteiner. »Das weiß ich ja, mein Junge. Du bist
sogar ein weltberühmter Artist. Aber das Turnen musst du gelernt haben. Eine
andere Erklärung gibt’s nicht. Du hast die Riesenwelle gewissermaßen im Blut.«
Es
wurde ein interessanter Tag. Und es war ein anstrengender Tag. Die Straßen
waren zu schmal. Die Häuser waren zu niedrig.
Mister
Drinkwater musste sich manchmal an den Dachrinnen festhalten und konnte in die
Stockwerke hineinschauen. Die Kameraleute hatten mit ihren Apparaten in der
Turnhalle keinen Platz. Sie mussten das Schauturnen der Männer- und der
Frauenriege von draußen drehen. Durch das Fenster am Niedermarkt.
Dort,
auf dem Niedermarkt, wurde den Gästen auch das Mittagessen serviert. Es gab
Pichelsteiner Fleisch. Das ist ja klar. Alles andere war weniger klar. Die
Stühle waren für die Gäste zu niedrig und zerbrechlich, die Teller und die
Löffel waren zu klein.
Man
musste sich statt auf Stühle notgedrungen auf Tische setzen und die Mahlzeit
mit Suppenkellen aus Töpfen löffeln. So ging es einigermaßen.
Am
Nachmittag wurde weitergefilmt. Und weil die Sonne schien, entschloss sich
Mister Drinkwater, ein paar wichtige Straßenszenen zu drehen. Nachdem er mit
dem Kameramann alles Nötige besprochen hatte, nahm er Rosa Marzipan beiseite
und sagte leise: »Machen Sie mit dem Jokus und dem Jungen einen längeren
Spaziergang.«
»Warum
denn?«, fragte Rosa. »Wir wollen doch bei den Aufnahmen zusehen.«
»Wandern
Sie lieber«, bat Drinkwater. »Denn ich drehe nachher, wie sich Mäxchens Eltern
auf der Straße von den Nachbarn verabschieden und das Dorf
Weitere Kostenlose Bücher