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Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Titel: Der Kleine Mann und die Kleine Miss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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verlassen, um in der
Welt ihr Glück zu versuchen.«
    »Ich
verstehe.«
    »Das
junge Mädchen und der junge Mann, die wir für die zwei Rollen ausgewählt haben,
sehen Mäxchens Eltern sehr ähnlich.
    Und
der Maskenbildner hat das Pärchen nach alten Fotografien so echt hergerichtet,
dass Mäxchen erschrecken könnte. Der Junge war ja, als er die Eltern verlor,
immerhin sechs Jahre alt, und die Fotografien kennt er auch…«
    »Hänschenklein«,
sagte Rosa Marzipan, »Sie sind noch viel netter, als ich bis vor einer Minute
dachte.«
    »Ich
hätte es lieber dem Jokus selber erzählt. Nur, Mäxchen hockt bei ihm in der
Brusttasche und…«
    »Keine
Sorge. Ich werde mit meinem Bräutigam wandern, bis er auf Pichelsteins Feldern
zusammenbricht.«
     
    Doch
das war leichter gesagt als getan. Eine Zeit lang ließen sich der Professor und
Mäxchen das Wandern gefallen. Dann wurden sie aufsässig. Sie begannen zu
murren.
    Und
so bedeutungsvoll das Marzipanmädchen dem Jokus zuzwinkerte – er verstand heute
Rosas Augensprache nicht. Sie erreichte nur, dass der Junge misstrauisch wurde.
»Warum klappert dein Fräulein Braut in einem fort mit den Augendeckeln?«,
fragte er neugierig.
    »Keine
Ahnung«, meinte der Jokus. »Frauen sind bekanntlich rätselhafte Wesen. Sogar
für Zauberkünstler.«
    »Ich
will beim Filmen zuschauen«, maulte Mäxchen. »Wie Stoppelfelder aussehen, weiß
ich schon.«
    Und
so kehrten sie um. Rosa Marzipan blieb nichts übrig, als mitzutrotten.
›Hoffentlich hat Drinkwater die Szene mit den falschen Eltern schon abgedreht‹,
dachte sie. Aber ihre Hoffnung war vergeblich.
    Sie
liefen mitten in die Aufnahmen hinein. Die Kamera war auf einem Elektrokarren
montiert worden. Er fuhr langsam vor dem mit Koffern und Bündeln beladenen Paar
her, das die schmale Straße entlangkam.
    Die
junge Frau war bildhübsch. Der junge Mann hatte einen prächtigen schwarzen
Schnurrbart. Sie waren nicht größer als zwei fünfjährige Kinder und hatten an
ihrem Gepäck schwer zu schleppen.
    In
den Haustüren und offenen Fenstern lehnten andere kleine Pichelsteiner, winkten
und riefen: »Viel Glück!« und »Macht’s gut!« und »Schreibt mal eine
Ansichtskarte!« und »Vergesst uns nicht ganz!«
    Das
Pärchen hätte gerne zurückgewinkt. Aber sie waren zu beladen. Sie konnten nur
lächeln und den anderen zunicken, und auch das schien ihnen Mühe zu machen.
Denn die Zukunft, der sie entgegenmarschierten, lag im Lande Ungewiss. Da
lächelt sich’s nicht so leicht.

    Der
Jokus stand starr. Nun begriff er, warum Rosa mit ihm und dem Jungen in die
Felder gezogen war. Er begriff auch, warum sie nur gezwinkert hatte.
    »Frauen
sind bekanntlich rätselhafte Wesen«, flüsterte sie und sah ihn vorwurfsvoll an.
    Und
Mäxchen? Mäxchen blickte wie gebannt auf die falschen Eltern. Dann schluckte er
schwer und sagte: »Lieber Jokus, bring mich fort! So schnell du kannst!«
     
    Alles
hat einmal ein Ende. Das gilt auch für Filmaufnahmen. Mitte November war es so
weit. Die Kameraleute hatten, wie sie dann zu sagen pflegen, alle Einstellungen
im Kasten. Sie hatten die Geschichte vom kleinen Mann abgedreht, marschierten
im Regen aus dem Studio übers Gelände in die gemütlich warme Kantine und
zwitscherten ein großes Helles. Doch sie tranken nicht nur ein oder zwei oder
vier oder sieben Glas Bier, sondern auch schärfere Sachen. In kleineren
Gläsern. Und kleine Gläser sind rascher leer als große. Das leuchtet ein.
    Zwischendurch
gab es Schweinsbraten mit Knödeln und Krautsalat. Man ließ sich nicht lange nötigen.
Hunger macht durstig, und Durst macht hungrig. Drinkwater, der Boss, hatte sie
eingeladen. Er hielt sie frei, dankte ihnen, lobte sie und ging ins
Nebenzimmer, wo andere Mitarbeiter auf ihn warteten. Ein Film besteht ja nicht
nur aus belichtetem Zelluloid.
     
    Im
Nebenzimmer saßen – außer dem Jokus, Rosa Marzipan und Mäxchen – der Tonmeister
Sohnemann, der Schnittmeister Wegehenkel und Mademoiselle Odette. Sie war
Scriptgirl, stammte aus Genf und beherrschte fünf Sprachen, als sei jede der
fünf ihre Muttersprache. Es war zum Staunen.
    Mister
Drinkwater steckte sich eine seiner schwarzen Zigarren ins Gesicht und sagte:
»Wenn die Ohren der Menschen so gescheit wären wie die Augen, könnten wir uns
jetzt zu den Kameraleuten setzen und mitfeiern. Aber die Ohren sind dümmer als
die Augen.«
    »Tatsächlich?«,
fragte Mäxchen.
    Der
Jokus nickte. »Sehr viel dümmer. Das Auge versteht alles, was es sieht. Das

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