Der kleine Mann
„Das ist Max Pichelsteiner, ein völlig normaler Knabe von fast dreizehn Jahren.“
„Ich bin ja so glücklich!“ sagte Mäxchen leise.
„Hoffentlich bleibt’s dabei“, meinte der Medizinalrat. „Und nun schau, daß du weiterkommst!“
„Wie soll ich Ihnen danken?“
Der Zauberer stand auf und zeigte zur Tür. „Geh weiter, und danke mir nicht!“
12. Kapitel
„So ein blöder Spiegelaffe!“ / Merkwürdige Plakate in der Stadt / Der Direktor Brausewetter heißt plötzlich Brausepulver / Galoppinski nennt sich Traberewski / Sie lachen ihn aus / Nicht einmal der Jokus erkennt ihn / Max und Mäxchen / Es war nur ein Traum.
Jetzt war er endlich so groß, wie sich das für einen richtigen Jungen gehört. Andere Kinder halten so etwas für selbstverständlich. Für ihn aber war es völlig neu. Es machte ihn so stolz, daß er auf der Straße am liebsten jeden Passanten angehalten und gefragt hätte: „Was sagen Sie dazu? Ist das nicht toll?“
Natürlich tat er’s nicht. Die guten Leute hätten sich ja auch sehr gewundert und höchstens geantwortet: „Was ist denn daran toll? Bürschchen in deiner Größe gibt’s wie
Sand am Meer.“ Vielleicht wären sie sogar böse geworden.
Manche wunderten sich, auch ohne daß er sie ansprach. Denn er strahlte, als habe er im Toto gewonnen. Außerdem benahm er sich merkwürdig. Er zuckte mitunter zusammen oder sprang sogar zur Seite, als hätte er Angst, zertreten zu werden. Dann hatte er wohl für einen Augenblick vergessen, daß er nicht mehr der Kleine Mann war. Dabei sah er doch jetzt die Gesichter und Hüte und Mützen und nicht mehr, wie vorher, die Schuhe und Absätze. Aber mit alten Gewohnheiten ist das so eine Sache. Man wird sie schwerer los als den Stockschnupfen.
Etwas anderes war noch seltsamer: Er blieb in einem fort vor Schaufenstern stehen. Keineswegs der hübschen, interessanten Auslagen wegen. Sondern wegen des, wie er fand, hübschen und interessanten Knaben, der sich in den Scheiben spiegelte. Er konnte sich an sich selber kaum sattsehen.
Dabei geschah es auch, daß plötzlich jemand hinter ihm sagte: „So ein blöder Spiegelaffe!“
Dieser Jemand war ein Junge in seiner Größe, strohblond und mit einer beachtlichen Zahnlücke. „Das ist nun das zehnte Schaufenster, in dem du dich angaffst“, stellte der Junge fest. „So etwas Dämliches hab’ ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Nächstens gibst du dir noch einen Kuß! Oder machst dir selber einen Heiratsantrag!“
Mäxchen ärgerte sich zwar. Aber der Kerl konnte ja nicht wissen, wie alles zusammenhing. Deshalb erklärte er ruhig: „Laß mich in Frieden!“
Doch der Strohblonde dachte gar nicht an Ruhe und Frieden, sondern hechelte weiter. „Schritte machst du wie ‘n Baby, das laufen lernt! Komm, gib mir dein Patschhändchen, damit du nicht aufs Köpfchen fällst!“
In Mäxchen begann es zu kochen. „Ich werde dir gleich mein Patschhändchen geben!“ rief er. „Aber auf deine Himmelfahrtsnase!“
„Oh, wie ich mich fürchte!“ witzelte der andre. Dann begann er, Mäxchen auszulachen. „Läuft wie ‘n Anfänger und will mich hauen! Hahaha!“
Da wurde es Mäxchen zu bunt. Sein Zorn lief über wie die Suppe im Kochtopf. Er holte aus, schlug zu, und der blonde Knabe saß auf dem Pflaster und hielt sich den Unterkiefer links. Auch Mäxchen war verblüfft. „Tut mir leid“, sagte er. „Es ist das erste Mal, daß ich wen haue.“ Dann ging er seiner Wege.
Außer den spiegelnden Schaufensterscheiben interessierten ihn, von Minute zu Minute immer mehr, die Plakatsäulen. Wohin er blickte, erblickte er sich selber. Das heißt: Die Plakate galten nicht dem normalgroßen Jungen, der er jetzt war, sondern dem Kleinen Mann, dem Zauberlehrling, dem winzigen Gehilfen des bedeutenden Professors Jokus von Pokus, die miteinander im Zirkus Stilke auftraten und das Publikum zu Beifallsstürmen hinrissen. Überall war Mäxchen Pichelsteiner zu sehen, und die Texte schlugen Purzelbaum. Die Litfaßsäulen waren völlig aus dem Häuschen.
Auf einem der Plakate lehnte er an einer Streichholzschachtel, gleich groß wie sie, und die Schachtel und Mäxchen waren mindestens zwei Meter groß. Der Reklametext lautete:
Auf einem anderen Plakat hielt er einen silbern glänzenden und überlebensgroßen elektrischen Rasierapparat in beiden Händen, und die Buchstaben behaupteten unverfroren:
Mäxchen dachte: ,So eine Frechheit! Wo ich doch mindestens noch vier Jahre warten muß,
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