Der kleine Vampir (01)
darf!»
Dazu machte er eine komische Verbeugung, bei der Anton seinen dünnen, faltigen Hals sah.
«Und nun», rief der kleine Vampir und sprang von seinem Platz herab, «will ich dir die Särge zeigen!»
Er nahm die Kerze, fasste Anton am Arm und ging mit ihm in die Gruft hinein. Das flackernde Kerzenlicht warf gespenstisch tanzende Schatten an die Wand. Anton spürte, wie sein Mund trocken wurde.
«Hier siehst du den Sarg meiner lieben Großmutter», erklärte der Vampir und blieb vor einem großen, mit vielen Schnitzereien verzierten Sarg stehen, «Sabine von Schlotterstein die Schreckliche.»
«Die Schreckliche?», fragte Anton.
«Na ja, das war früher», beruhigte ihn der Vampir, «schließlich war sie der erste Vampir in der Familie und musste sich erst mal überall bekannt machen.»
Mit Schaudern betrachtete Anton den Sarg. Was mochte wohl tagsüber darin liegen?
«Und dies», sagte der Vampir am nächsten Sarg, «ist Wilhelm, mein Großvater. Sabine hat natürlich ihn zuerst gebissen, und so folgte er ihr schon bald nach und konnte sie bei ihren nächtlichen Ausflügen tatkräftig unterstützen. Er hieß damals Wilhelm der Wüste», fügte er hinzu und kicherte.
«Musste er sich auch erst – bekannt machen?», fragte Anton.
«Das nicht», antwortete der Vampir, «aber er hatte immer furchtbaren Hunger.»
Anton fühlte, wie es ihm kalt den Rücken hinunterlief. «Und wer ist das?», fragte er schnell und zeigte auf den dritten Sarg.
«Das ist mein Vater», erklärte der Vampir, «Ludwig von Schlotterstein der Fürchterliche, das älteste Kind von Sabine und Wilhelm von Schlotterstein. Neben ihm liegt meine Mutter, Hildegard die Durstige. Mein Vater war natürlich schon Vampir, als sie heirateten. Meine Mutter wusste allerdings nichts davon. Erst als sie auf Burg Schlotterstein war, da …» Er sprach nicht weiter, sondern grinste nur und knackte mit seinen Zähnen.
«Ja, und das», fuhr er fort, «ist mein Sarg. In den darfst du sogar hineinklettern.»
«Nein danke», murmelte Anton, «lieber nicht.»
«Aber warum nicht?», rief der Vampir und beeilte sich, den Deckel hochzuklappen. Das Innere des Sargs war mit schwarzem Samt ausgekleidet, der allerdings an vielen Stellen schon ziemlich durchgelegen aussah. Am Kopfende lag ein kleines schwarzes Kissen, auf dem Anton seine beiden Bücher entdeckte.
«Ist das alles?», fragte er enttäuscht.
«Wieso?», rief der Vampir.
«Na ja», sagte Anton, «ich hatte es mir etwas gemütlicher vorgestellt.»
«Gemütlicher?», frage der Vampir und machte ein überraschtes Gesicht. «Wie denn?»
«Vielleicht etwas – ge-geräumiger», stotterte Anton, der merkte, dass er etwas Falsches gesagt hatte.
«Geräumiger?», rief der Vampir empört. «Ist etwa nicht genügend Platz im Sarg? Sogar für dich reicht es noch, wenn wir etwas zusammenrücken!» Und damit stieg er in den Sarg, schob die Bücher zur Seite und streckte sich bequem aus.
«Siehst du», rief er, «es ist noch genug Platz für dich!»
«Tatsächlich», murmelte Anton, «ich hätte gar nicht gedacht, dass er so …»
«Du sollst auch nicht denken», rief der Vampir ungeduldig, «sondern hineinsteigen!»
«Äh – ich …», sagte Anton und trat schnell an den nächsten Sarg, «ich überleg schon die ganze Zeit, wem wohl dieser niedliche Sarg gehört.»
Der Vampir hob den Kopf und knurrte: «Meiner kleinen Schwester. Aber jetzt komm endlich.»
«Und der dahinter?», rief Anton verzweifelt. Nie und nimmer würde er sich zu Rüdiger in den Sarg legen!
«Der gehört meinem Bruder», sagte der Vampir zähneknirschend, «Lumpi von Schlotterstein dem Starken.»
«Und wie – heißt deine Schwester?», versuchte Anton noch einmal abzulenken. In diesem Augenblick hörte er ein leises Klopfen, das aus einem der Särge zu kommen schien. Starr vor Entsetzen blieb er stehen. Waren sie doch nicht allein in der Gruft? Hatte Rüdiger ihn belogen? Aber auch auf dem Gesicht des Vampirs zeigten sich Überraschung und Erschrecken.
«Psst!», flüsterte er, während er behände aus dem Sarg geklettert kam. «Das kann nichts Gutes bedeuten. Du musst dich verstecken.»
«Verstecken?», rief Anton. «Wo denn?»
Der Vampir zeigte auf seinen Sarg, dessen Deckel noch offen stand.
Da klopfte es wieder, aber diesmal viel lauter und kräftiger, und jetzt konnten sie deutlich erkennen, aus welchem Sarg das Klopfen kam. «Tante Dorothee!», rief der Vampir entsetzt. Sein Gesicht sah plötzlich noch
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