Der kleine Vampir (01)
gelacht hätte. Aber er verkniff es sich lieber – sonst gab es noch Streit, und dann blieb der Vater aus Wut womöglich zu Hause! Wer weiß denn, auf welche Ideen Erwachsene kommen?
«Jedenfalls», sagte die Mutter zu Anton, «möchten wir ihn bald einmal kennen lernen, deinen Freund. Und seine Eltern natürlich auch.»
«Seine Eltern?», rief Anton.
«Aber sicher», sagte die Mutter, «wir wollen doch wissen, mit wem unser Sohn befreundet ist.»
«Aber ich bin doch nicht mit den Eltern befreundet!», rief Anton.
«Trotzdem!», sagte die Mutter. «Übrigens, wo wohnt eigentlich dein Freund?»
«Wir müssen los», unterbrach sie der Vater, «komm, Helga!»
«Ja ja, sofort», sagte die Mutter.
Anton, der schon gehofft hatte, ihm würde die Antwort erspart bleiben, fing an zu stottern: «Also der, ja, also der, der wohnt am F-Friedhof .»
«Wo?», rief die Mutter erschrocken, aber der Vater fasste sie sanft am Arm und zog sie mit sich ins Treppenhaus.
«Lass dich doch nicht für dumm verkaufen», lachte er, «wo gibt es denn so was? Fasching im Sommer, Vampire, Friedhof!»
Auf dem Treppenabsatz drehte er sich noch einmal um und winkte.
«Tschüs, Anton!» Die Mutter winkte auch, aber sie sah beunruhigt und nachdenklich aus. Hatte sie Verdacht geschöpft?
Anton schloss die Tür und ging in sein Zimmer. Vom Fenster aus konnte er sehen, wie seine Eltern ins Auto stiegen und losfuhren. Hoffentlich ließ Rüdiger nicht so lange auf sich warten! Mittlerweile war die Sonne untergegangen. Groß und rund stand der Mond am Himmel.
Auf der Straße, sechs Stockwerke unter ihm, hatten sich die Lampen eingeschaltet. Ein großer, schwarzer Falter flatterte dort, kam langsam näher und begann, in weiten Schwüngen zu steigen, bis er auf einer Höhe mit Antons Fenster war. In diesem Augenblick ging eine seltsame Verwandlung mit ihm vor: Zuerst erschienen zwei Füße unter den Flügeln, dann tauchten zwei Hände auf, und schließlich sah Anton einen gräulichen, ihm nur allzu gut bekannten Kopf. Es war der kleine Vampir, der jetzt mit einer gekonnten Drehung neben Anton auf der Fensterbank landete.
«Mensch, hast du mich erschreckt!», prustete Anton.
«Wieso ‹Mensch›?», antwortete der Vampir und schüttelte sich.
«Fliegst du immer so als Motte?», fragte Anton.
«Wie bitte?», rief der Vampir, und seine Augen funkelten zornig. «Das war doch keine Motte, das war eine Fledermaus!»
«Ach so», sagte Anton verlegen. Immer musste er ins Fettnäpfchen treten!
Aber der Vampir war wirklich nicht nachtragend. Er machte schon wieder ein freundliches Gesicht, soweit ihm das als Vampir möglich war.
«Bist du allein?», fragte er. Anton nickte. «Ich hab dir etwas mitgebracht!» Und schon zog er unter seinem Umhang einenzweiten hervor, genauso geschnitten und ebenso schwarz. Dass es ein echter Vampirumhang war, erkannte Anton schaudernd an den vielen Blutflecken und dem Geruch nach feuchter Erde, vermodertem Holz und abgestandener Grabesluft.
«Zieh ihn über», flüsterte der Vampir.
«Überziehen?», fragte Anton mit ängstlicher Stimme.
«Na los!»
«Ja, aber», murmelte Anton. Ihm war die Geschichte vom Kostümfest eingefallen. Ob er sich nicht vielleicht selbst in einen Vampir verwandelte, wenn er den Umhang überzog? Zwar mussten in den Geschichten, die er gelesen hatte, die Opfer zuerst vom Vampir gebissen worden sein – aber wusste er denn, was der Vampir noch mit ihm vorhatte? Ein heftiges Zittern überfiel ihn, und mit weichen Knien tappte er rückwärts zur Tür.
«Aber Anton», sagte der Vampir, «ich denke, wir sind Freunde!»
«J-ja», stammelte Anton, und in seiner Aufregung stolperte er über die Schultasche neben dem Schreibtisch und fiel der Länge nach auf den Boden.
Der Vampir half ihm beim Aufstehen. «Denkst du, ich könnte dir etwas – antun?», fragte er und sah Anton aus den Augenwinkeln heraus lauernd an.
«N-nein», sagte Anton und wurde rot, «ich dachte nur, dass vielleicht der Umhang … Aber das ist natürlich B-Blödsinn », fügte er schnell hinzu.
«Allerdings!», bekräftigte der Vampir, hob den Umhang vom Boden auf und reichte ihn Anton. «Da, zieh ihn über!»
Anton spürte, wie ihm auf einmal entsetzlich übel wurde, aber trotzdem nahm er den Umhang und zog ihn sich langsam über den Kopf. Der Vampir sah ihm mit leuchtenden Augen zu.
«Und jetzt – kannst du fliegen!»
«Fliegen?», fragte Anton. «Und wie?»
«Nichts leichter als das!», rief der Vampir,
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