Der kleine Vampir (01)
ihn notfalls unauffällig herausholen!
«Was möchtest du denn gewaschen haben?»
«Socken», erklärte Anton, «weiße Socken.» «Soso, weiße Socken», sagte der Vater, und es war deutlich zu hören, dass er beinahe laut gelacht hätte. «Die kann ich leider nicht mitwaschen. Es sind nämlich nur dunkle Sachen drin!»
«Nur dunkle Sachen?», rief Anton. «Etwa auch welche von mir?»
«Jaa», sagte der Vater gedehnt.
«Und – welche?»
«Da musst du Mutti fragen.»
«Und wo ist sie?»
«Im Wohnzimmer. Sie stopft.»
«Sie stopft?» Anton erschrak. Eine neue, fast noch schrecklichere Vorstellung tauchte vor ihm auf, denn ihm war eingefallen, wie viele Löcher der Umhang hatte!
«Stopft sie – Strümpfe?», fragte er vorsichtig.
«Strümpfe wohl nicht», lachte der Vater, «sie hat ein großes schwarzes Tuch gefunden, mit vielen Löchern …»
«Was?», rief Anton. «Schwarz, mit vielen Löchern?» Er stürzte ins Wohnzimmer. Jetzt war es ihm ganz egal, ob er sich verriet oder nicht.
Die Mutter saß am Fenster und war damit beschäftigt, einen langen, schwarzen Wollfaden durch ein dünnes Nadelöhr zu ziehen. Auf ihrem Schoß lag Rüdigers Umhang!
«Puh», seufzte sie, als sie Anton erblickte, «wie der stinkt!»
«Der – der gehört meinem F-Freund », stotterte Anton.
«Ich weiß», sagte die Mutter lächelnd, «der arme Kerl – so ein kaputter Umhang. Ich kann schon den Finger durch die Löcher stecken!»
«Vielleicht will er gar nicht, dass sie gestopft werden», sagte Anton.
«Und woher willst du das wissen?»
«Er – er hat es mir gesagt.»
Die Mutter hatte mittlerweile das zweite Loch gestopft und fädelte sich einen neuen Faden ein. «Das glaube ich nicht», sagte sie ruhig. «Kein Mensch würde freiwillig in so einem zerlöcherten Umhang herumlaufen. Vielleicht hat er niemanden, der stopfen kann? Nein, nein», fügte sie hinzu und stach entschlossen wieder in den Stoff, «er wird mir bestimmt dankbar sein. Wie heißt er eigentlich?»
«Rüdiger», brummte Anton. Er war schon an der Tür. Am liebsten hätte er geheult, so wütend war er. Und der Vater spielte noch den Ahnungslosen! Dabei hatten sie alles vorher abgesprochen, er und die Mutter. Aber mit ihm konnten sie es ja machen!
«Willst du nichts essen?», rief der Vater aus der Küche.
«Nö», sagte Anton.
«In zehn Minuten ist der Nudelauflauf fertig!»
«Ja», knurrte Anton. Er ging in sein Zimmer und legte sich auf sein Bett. So eine Gemeinheit! Ihm den Umhang wegzunehmen und zu stopfen, ohne auch nur ein einziges Mal gefragt zu haben! Und nicht nur das – sogar noch weiterzustopfen, nachdem er protestiert hatte! Anton ärgerte sich jetzt, dass er den Umhang so offen herumliegen lassen hatte, obwohl er doch wusste, dass seine Eltern morgens immer nachguckten, ob er noch schlief.
Aber vielleicht war es gar nicht so schlimm, dass die Mutter die Löcher stopfte? Eigentlich müsste der Vampir in einem Umhang ohne Löcher sogar besser fliegen können. Am Ende hatte die Mutter Recht, und er war tatsächlich dankbar für das Stopfen! Anton hörte die Schritte seiner Mutter im Flur. Schnell stand er auf und begann, sein Bett zu machen. Als er das Kissen aufschüttelte, klopfte es.
«Anton?»
«Ja. Kannst reinkommen.»
«Hier», sagte die Mutter, «dein Umhang. Alles gestopft!»
«Danke», murmelte Anton. Er nahm ihr den Umhang ab und legte ihn auf den Stuhl.
«Ich hätte ihn ja gern gewaschen», meinte sie, «aber dann wäre er noch lange nicht trocken. Und Rüdiger braucht ihn doch, oder?»
«Doch, doch», sagte Anton schnell.
«Willst du ihm den Umhang nicht gleich bringen?», fragte sie.
«Jetzt – äh», Anton sah sich Hilfe suchend um, «jetzt schläft er noch.»
«Was?», lachte die Mutter. «Weißt du, wie spät es ist?»
«Essen ist fertig!», rief in diesem Augenblick der Vater.
«Ein merkwürdiger Freund muss das sein, der bis Mittag schläft», sagte die Mutter und musterte Anton prüfend. «Das musst du mir mal genauer erklären beim Essen.»
«Ich – äh hab gar keinen Hunger», sagte Anton, obwohl sein Magen inzwischen furchtbar knurrte.
«Unsinn!», sagte die Mutter, und der Vater rief: «Er hat noch nicht einmal gefrühstückt!»
«Na gut», brummte Anton. Eigentlich war Nudelauflauf sein Lieblingsessen, aber heute schmeckte es ihm überhaupt nicht. Angestrengt dachte er nach, wie er die Sache mit dem langen Schlafen erklären könnte, während er sich Bissen für Bissen lustlos in den Mund
Weitere Kostenlose Bücher