Der kleine Vampir feiert Weihnachten
hätten meine Eltern die Weihnachtsfeier bestimmt auf einen anderen Tag verschoben.»
«Verschoben?»
«Ja, auf den ersten oder zweiten Weihnachtstag. Aber nun bleibt alles beim Alten.»
«Und zwischen uns bleibt auch alles beim Alten!» Anna blickte ihn unverwandt an. Anton spürte, wie er rot wurde. «Wir müssen unbedingt darüber reden, wie wir alles machen», lenkte er hastig ab.
«Was denn ‹alles›?», fragte Anna und fuhr fort, ihm tief in die Augen zu schauen.
Anton senkte verlegen den Blick. «Na, die Einzelheiten der Weihnachtsfeier!»
«Ach, das –» Anna kicherte. «Ob ich links oder rechts von dir sitze und ob zuerst du
mir
den Weihnachtskuss gibst oder ich
dir!
»
Anton ließ sich keine Gefühlsregung anmerken. «Weihnachtsküsse?», sagte er gedehnt. «Davon habe ich noch nie etwas gehört!»
«Nicht?» Anna verzog schmollend den Mund. «Und was macht man dann den ganzen langen Weihnachtsabend?»
«Genau darüber will ich ja mit dir reden!», erklärte Anton.
«Also: Die Kinder müssen draußen warten, in der Küche oder im Kinderzimmer. In der Zwischenzeit schmücken die Eltern den Tannenbaum und stellen die Geschenke hin. Sobald sie damit fertig sind, läuten sie die Weihnachtsglocke – jedenfalls bei uns. Und danach ist die Bescherung!»
«Was für eine Bescherung?»
«Dann werden die Geschenke verteilt.»
«Wir benutzen das Wort anders», bemerkte Anna. «Meine Großmutter, Sabine die Schreckliche, sagt immer: ‹Eine schöne Bescherung!›, wenn irgendein Unglück passiert ist.»
«Ja, solche Bescherungen kenne ich auch!», stimmte Anton ihr zu. «Wenn man zum Beispiel einen Gutschein für einen Aktivurlaub bekommt», fügte er in Erinnerung an das letzte Weihnachtsfest grimmig hinzu.
Anna kicherte. «Wieso? Es war doch sehr schön, wie wir im Jammertal aktiv geworden sind, du und ich!»
«Ja, und auf die Bescherung folgt das Weihnachtsessen», fuhr Anton unbeirrt fort.
Ein Schatten huschte über Annas Gesicht. «Und woraus besteht so ein … Weihnachtsessen?»
«Ente à la Bohnsack – wie jedes Jahr.»
«Hm – ich glaube, Rüdiger und ich sollten erst nach dem Essen kommen», meinte Anna.
«Nein, das wäre viel zu spät», erwiderte Anton. «Ihr müsst unbedingt an der Bescherung teilnehmen. Sonst sind meine Eltern enttäuscht!»
«Nur deine Eltern?», sagte Anna.
«Ich natürlich auch», versicherte er hastig und fügte hinzu: «Schon wegen der Geschenke für euch!»
«Für uns …» Anna ballte die Fäuste. «Warum hat man bloß Brüder!»
Anton zuckte zusammen. «Wieso, kommt Lumpi auch?»
«Nein! Der feiert doch bei Geiermeier und Schnuppermaul», beruhigte Anna ihn. «Und was passiert, wenn ihr gegessen habt?», fragte sie nach einer Pause.
«Dann machen wir Spiele.»
«Spiele?» Nun leuchteten Annas Augen. «Mäuschen-sag-mal-piep, wo sich einer beim anderen auf den Schoß setzt?»
«Nein, Brettspiele.»
«Brettspiele?» Anna überlegte. «Ach so», rief sie. «Über-die-Sargbretter-Springen und Wettnageln in harte Sargbretter!»
«Nein, Sargbretter haben wir nicht, leider», musste Anton sie enttäuschen. «Wir besitzen nur Spielbretter – für Mensch ärgere Dich nicht!, Fang-den-Hut, Mühle, Dame …»
Anna kicherte. «Wenn wir bei Mensch ärgere Dich nicht! das eine Wort ändern, spiele ich gern mit.»
Sie blickte zum Fenster. «Ich werde jetzt fliegen, Anton», sagte sie. «Tante Dorothee erwartet mich.»
Anton erschrak. «Tante Dorothee? Doch nicht etwa draußen, vor meinem Fenster?»
«Nein, in der Gruft. Lumpi hat neue Tannenbäume besorgt. Und ich soll Tante Dorothee beim Aufstellen helfen.»
«Neue Tannenbäume?», fragte Anton ahnungsvoll. «Weißt du zufällig, woher er die hat?»
«Keine Ahnung», antwortete sie gleichmütig. «Aber sie sind viel schöner als die alten.»
«Oje!», dachte Anton. Hoffentlich hatte sich Lumpi nicht an den Tannenbäumen vergriffen, die vor dem Rathaus standen. Das waren nämlich – wie immer – die schönsten, größten und teuersten in der Stadt! Und dann würde es mit Sicherheit einen Riesenwirbel in der Presse geben …
«Müssen wir noch etwas besprechen?», fragte Anna.
Anton überlegte. «Nein, ich glaube nicht.»
«Dann bis übermorgen», sagte sie. «Und mach dich auf einiges gefasst», fügte sie geheimnisvoll hinzu.
«Worauf denn?», fragte Anton beklommen. Das klang so – drohend!
«Auf zwei sehr ungewöhnliche Freunde!» Anna lachte prustend.Aber schnell hielt sie
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