Der kleine Vampir feiert Weihnachten
Antons Eltern zu, gab beiden die Hand, und mit einem Knicks sagte sie: «Vielen Dank für die Geschenke!»
«Das sind noch gar nicht alle», erwiderte Anton.
«Ja, sieh nur unter dem Tannenbaum nach!», ergänzte Antons Mutter, sichtlich beeindruckt von Annas «gutem» Benehmen. Anna bückte sich. Dann kam sie mit drei Paketen zum Tisch. Anton und seine Eltern sahen zu, wie sie ihre roten Kerzen auspackte, das Tagebuch mit dem silbernen Schlüssel und ihr Buch «Die schönsten Vampir-Liebesgeschichten».
Als Anna fertig war, glänzten Tränen in ihren Augen. «So viele Sachen …», flüsterte sie.
Und ehe Anton wusste, wie ihm geschah, war Anna ihm um den Hals gefallen und hatte ihn links und rechts auf die Wange geküsst.
«Danke, Anton!», flüsterte sie.
«Wofür denn?», wehrte er verlegen ab.
«Für alles», antwortete sie. «Und vor allem für das Buch.» Sie strich mit den Fingerspitzen über den nachtblauen Umschlag. «Dass es solche Bücher überhaupt gibt … Vampir-Liebesgeschichten!»
Familienbesitz
«Hast
du
sie auch schon gelesen?», fragte sie nach einer Pause und sah Anton erwartungsvoll an.
«Natürlich nicht!», antwortete er gewitzt. «Man liest keine Bücher, die man verschenken will.»
«Soso», meinte seine Mutter. «Und Rüdigers Buch?»
Sie deutete hinüber zum Sofa, wo der kleine Vampir – mit den Kopfhörern auf den Ohren – in seine «Sechzehn rabenschwarzen Geschichten» vertieft war.
«Rüdigers Buch habe ich nur geprüft», erklärte Anton. «Anna und Rüdiger lesen nämlich nicht
jede
Vampirgeschichte», fügte er hinzu.
«Das stimmt!», sagte Anna. «Brutale Geschichten lehnen wir ab – und solche, in denen Vampire immer nur negativ dargestellt werden.»
Antons Vater lachte laut. «Ihr seid richtig wählerisch, wie?»
«Ja, allerdings», bestätigte sie. «Wir haben einen ganz besonderen Geschmack, nicht wahr, Anton?»
Kichernd lief Anna zu der alten schwarzen Tasche, die sie neben der Tür abgestellt hatte. Gleich darauf kehrte sie mit zwei Päckchen zurück, die mit knitterigem Seidenpapier umwickelt waren.
«Ich hoffe, das ist nach
Ihrem
Geschmack», sagte sie und gab Antons Mutter das eine Päckchen.
«Und das ist hoffentlich
dein
Geschmack!», meinte sie zu Anton und reichte ihm das andere Päckchen.
Anton zögerte noch, es zu öffnen – da rief seine Mutter schon: «Oh, sieh nur: ein Leuchter!»
«Und ein ausgesprochen edles Stück», ergänzte sein Vater.
«Familienbesitz», verriet Anna.
«Edel» konnte Anton den Leuchter nicht finden; im Gegenteil: Er schien uralt zu sein.
«Das ist ja eine richtige Antiquität», meinte Antons Mutter.
«Zwanziger Jahre, schätze ich», sagte Antons Vater.
«Viel älter», entgegnete Anna. «Er stammt von achtzehnhundertachtundvierzig!»
«So alt?», rief Antons Vater. «Ist er dann nicht viel zu wertvoll?»
«Ja, wirklich, Anna – ein dermaßen wertvolles Geschenk dürfen wir gar nicht annehmen», sagte Antons Mutter.
«Doch, das dürfen Sie.» Anna lächelte. «Erstens ist das Geschenk von uns beiden, von Rüdiger und mir. Und zweitens haben Sie uns eine Riesenfreude gemacht mit Ihrer Einladung. Wie riesig, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Dagegen ist der Leuchter nur eine Kleinigkeit.»
«Und eure Eltern?», fragte Antons Vater. «Sind die damit einverstanden? Ich meine, wenn der Leuchter doch Familienbesitz ist!»
Anna zwinkerte Anton zu. «Gewissermaßen bleibt er ja in der Familie …»
Anton war rot geworden. Schnell wandte er sich seinem Geschenk zu. Es war ein kleines schwarzes Kissen, über und über mit Perlen bestickt. Anton erkannte ein dunkelrotes Herz mit zwei ineinander verschlungenen schwarzen Buchstaben: einem «A» für «Anna» und einem «A» für «Anton».
«Ich habe es für dich gestickt», flüsterte Anna zärtlich.
«Wirklich?», sagte Anton. Das musste ja Wochen gedauert haben!
«Ein bisschen hat mir meine Großmutter geholfen», gab Anna zu. «Aber das Muster habe ich ganz allein entworfen. Gefällt es dir?»
Anton nickte. «Es ist sehr künstlerisch.»
«Ehrlich?» Anna lächelte geschmeichelt.
«Und sonst?», fragte sie.
«Sonst?», wiederholte Anton.
«Ja! Spürst du sonst nichts?»
Anton blickte seine Eltern an, die – wie sollte es anders sein – jedes Wort gespannt verfolgten. Schade, dass
sie
keine Kopfhörer trugen, so wie der kleine Vampir.
«Also, ich finde das Kissen ganz toll», sagte er. «Und es wird einen Ehrenplatz bekommen!»,
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