Der kleine Vampir feiert Weihnachten
«Wissen Sie, wir sind nicht so wie andere Leute.»
Antons Mutter machte eine verlegene Handbewegung. «Dann … dann sind der Puder und der Lippenstift vielleicht gar nicht die passenden Geschenke?»
«Oh, die sind sehr passend!», versicherte Anna. «Ich würdesie auch gern mal ausprobieren – im Badezimmer, wenn Sie nichts dagegen haben.»
«Was sollten wir dagegen haben?», antwortete Antons Mutter.
Anna lief zur Tür. «Bis gleich», sagte sie.
Der schwierigste Teil der Feier
Der kleine Vampir hatte sich in der Zwischenzeit die Kopfhörer aufgesetzt und mehrmals vergeblich die «Start»-Taste gedrückt. «Du musst eine Kassette einlegen», erklärte Anton.
«Was hast du gesagt?», brüllte der kleine Vampir.
«Nimm erst mal die Kopfhörer ab!», brüllte Anton zurück.
Rüdiger tat es. «Das blöde Ding funktioniert nicht», verkündete er.
«Deine Bemerkung finde ich aber ziemlich unhöflich!», rügte ihn Antons Vater. «Meinst du nicht, dass du etwas vorschnell mit deinem Urteil bist?»
«Wieso vorschnell? Das Ding gibt keinen Ton von sich», antwortete der kleine Vampir und gab den Walkman an Antons Vater weiter. «Hören Sie selbst!»
Wortlos ging Antons Vater zum Musikschrank. Er nahm eine Kassette und legte sie in den Walkman.
«Hier! Vielleicht solltest du es nochmal versuchen», sagte er in leicht spöttischem Ton. «Bevor du den Apparat in Grund und Boden verdammst.»
Der kleine Vampir stülpte sich die Kopfhörer über, und mit betont desinteressierter Miene drückte er auf «Start». Dass jetzt Musik erklang, konnte sogar Anton hören – offenbar lief der Walkman auf voller Lautstärke.
Der kleine Vampir begann zu grinsen. Aber dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck schlagartig: Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn, seine Lippen bebten – und plötzlich riss er sich mit einem Wutschrei die Kopfhörer herunter.
«Was ist nun schon wieder?», fragte Antons Vater.
«Stöbermann», ächzte der kleine Vampir. «Das war Stöbermann!»
«Welche Kassette ist es?», fragte Anton in böser Vorahnung. «Etwa die aus Klein-Oldenbüttel?»
Sein Vater nickte: «Aber was hat Rüdiger denn gegen die ‹Heiteren Dorfschwalben› unter der Leitung von Ernst-Albert Stöbermann?»
«Er … er mag keine Volksmusik», sagte Anton rasch.
Noch immer standen Schweißperlen auf der Stirn des kleinen Vampirs. Bestimmt hatte er sich an den Urlaub auf dem Bauernhof erinnert – und wie ihn der Dorfarzt Stöbermann, der in seiner Freizeit Vampire jagte, bei sich im Haus festgehalten hatte und wie ihn Anton erst in letzter Minute hatte befreien können …
«Du kriegst noch richtig gute Kassetten», versicherte Anton, um ihn abzulenken. Er zeigte auf die Geschenke. «Ich würde mir an deiner Stelle mal das rote Päckchen ansehen!»
Rüdiger griff nach dem Päckchen. Die beiden von Anton gekauften Kassetten mit Popmusik kamen zum Vorschein. Argwöhnisch studierte der kleine Vampir die Texte.
Schließlich sagte er: «Hm, klingt vernünftig», und schob eine Kassette in seinen Walkman. Er lauschte, und dann – endlich! – lächelte er.
Während er den Kopf und die Schultern im Takt der Musik bewegte, machte er sich daran, die restlichen Geschenke auszupacken. Die Musik schien ihn milde zu stimmen; denn selbst die Kerzen, die Anton ausgesucht hatte, entlockten ihm ein freundliches Grinsen. Und beim Anblick der «Sechzehn rabenschwarzen Geschichten für Nachtschwärmer» nickte er Anton anerkennend zu.
«Dem Himmel sei Dank», flüsterte Antons Mutter dem Vater zu. «Den schwierigsten Teil der Feier haben wir offenbar hinter uns.»
«Hallo!», sagte da Anna.
Sie stand in der Tür und war so stark gepudert, dass ihr Gesicht ganz fremd und maskenhaft wirkte. Ihre Lippen dagegen hatte sie recht geschickt bemalt. Weniger gelungen waren die roten Bäckchen …
Anton musste grinsen und auch seine Eltern schmunzelten.
«Sehe ich nicht gut aus?», fragte Anna und blickte unsicher zwischen ihnen hin und her.
«Nun –», sagte Antons Mutter diplomatisch. «Wenn man berücksichtigt, dass ihr euch nicht im Spiegel anschauen dürft …»
«Der Puder ist zu dick», erklärte Anton. Er wusste, dass Anna Lügen aus Gefälligkeit hasste.
Sie kicherte verschämt. «Der Pinsel hat so lustig gekitzelt. Und da hab ich immer nochmal gepudert. – Aber Weihnachten darf man sich etwas dicker pudern», meinte sie. «Vor allem, wenn man eine Puderdose geschenkt bekommen hat!»
Sie ging auf
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