Der Klient
der schon viele Arme gebrochen hat und mit Vergnügen einen weiteren brechen würde, wenn man sich zu lange auf seinem Pfad aufhielt oder nicht schnell genug mit den Antworten herausrückte. Die Stimme war grob, arrogant und einschüchternd, und die arme Sekretärin am anderen Ende hatte sie schon viele Male gehört, und sie hatte die Augen und die glänzenden Anzüge und den Pferdeschwanz schon oft gesehen. Sie schluckte hart, kam wieder zu Atem, dankte Gott, daß er am Telefon war und nicht vor ihrem Schreibtisch stand und seine Knöchel knacken ließ, und teilte Mr. Muldanno mit, daß Mr. Clifford das Büro gegen neun Uhr morgens verlassen und sich seither noch nicht wieder gemeldet hätte.
Das Messer knallte den Hörer auf die Gabel und stürmte durch den Flur; dann fing er sich, und als er sich den Tischen und den Gesichtern näherte, verfiel er wieder in seinen betont lässigen Gang. Das Restaurant begann sich zu füllen. Es war fast fünf Uhr.
Er hatte lediglich vorgehabt, mit seinem Anwalt ein paar Drinks zu nehmen und dann mit ihm zu essen, damit sie über seine Bredouille reden konnten. Nur Drinks und Essen, sonst nichts. Die Typen vom FBI beobachteten und belauschten ihn. Jerome hatte Barry erst vorige Woche erzählt, er glaubte, sie hätten seine Kanzlei verdrahtet. Also wollten sie sich hier treffen und in aller Ruhe essen, ohne sich Sorgen um Lauscher und Wanzen machen zu müssen.
Sie mußten miteinander reden. Jerome Clifford hatte in New Orleans fünfzehn Jahre lang prominente Ganoven verteidigt – Gangster, Drogenhändler, Politiker –, und seine Erfolgsquote war beeindruckend. Er war gerissen und korrupt, jederzeit bereit, Leute zu kaufen, die sich kaufen ließen. Er trank mit den Richtern und schlief mit ihren Freundinnen. Er bestach die Polizisten und bedrohte die Geschworenen. Er plauderte mit den Politikern und war mit Spenden nicht kleinlich, wenn er dazu aufgefordert wurde. Jerome wußte, wie das System funktionierte, und wenn in New Orleans ein angeklagter Ganove, der über genügend Geld verfügte, Hilfe brauchte, dann fand er unfehlbar seinen Weg zur Kanzlei von Rechtsanwalt W. Jerome Clifford. Und in dieser Kanzlei fand er einen Freund, der von Schmutz lebte und loyal blieb, bis der Fall ausgestanden war.
Doch Barrys Fall lag etwas anders. Er war riesig und wuchs von Minute zu Minute. Die Verhandlung sollte in einem Monat stattfinden und ragte drohend vor ihm auf wie eine Hinrichtung. Es würde sein zweiter Mordprozeß sein. Den ersten hatte er im zarten Alter von achtzehn durchgestanden; ein Staatsanwalt mit nur einem höchst unzuverlässigen Zeugen hatte zu beweisen versucht, daß Barry einem rivalisierenden Ganoven die Finger abgeschnitten und die Kehle aufgeschlitzt hatte. Barrys Onkel, ein hochgeachteter und erfahrener Mafioso, hatte hier und da ein bißchen Geld springen lassen. Die Jury des jungen Barry konnte sich nicht auf einen Spruch einigen, und die Sache verlief im Sande.
Später verbrachte Barry wegen Schutzgelderpressung zwei Jahre in einem gemütlichen Bundesgefängnis. Sein Onkel hätte ihn abermals retten können, aber zu der Zeit war er fünfundzwanzig und reif für eine kurze Zeit im Knast. Sie machte sich gut in seinem Lebenslauf. Die Familie war stolz auf ihn. Jerome Clifford hatte eine milde Strafe ausgehandelt, und seither waren sie Freunde gewesen.
Ein frisches Club Soda und eine Limone erwarteten Barry, als er zur Bar stolzierte und seinen Platz wieder einnahm. Der Alkohol konnte ein paar Stunden warten. Er brauchte ruhige Hände.
Er quetschte die Limone aus und betrachtete sich im Spiegel. Er merkte, daß ein paar Leute ihn anstarrten; schließlich war er in diesem Moment der vielleicht berühmteste wegen Mordes angeklagte Mann im ganzen Land. Vier Wochen bis zum Prozeß, und die Leute starrten ihn an. Sein Gesicht war in sämtlichen Zeitungen.
Dieser Prozeß war etwas völlig anderes. Das Opfer war ein Senator, der erste, behaupteten sie, der je im Amt ermordet worden war. Die Vereinigten Staaten von Amerika gegen Barry Muldanno . Natürlich, sie hatten keine Leiche, und das stellte die Vereinigten Staaten von Amerika vor gewaltige Probleme. Keine Leiche, kein Obduktionsbericht, keine ballistische Untersuchung, keine bluttriefenden Fotos, die man im Gerichtssaal schwenken und der Jury unter die Nase halten konnte.
Aber Jerome Clifford war dem Zusammenbruch nahe. Er benahm sich seltsam – verschwand einfach, wie jetzt, blieb der Kanzlei fern,
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