Der Knochendieb
auch jetzt nicht. Begreifst du es jetzt? Sie zeigt auf ihre Lippen! Ruf sofort Eileen Tiernan an. Ich muss wissen, wie Moiras Lippenstift heißt.«
74. KAPITEL
Driscoll wiegte den offenen Lippenstift auf der Handfläche.
»Riecht fruchtig«, sagte er, nachdem er daran geschnuppert hatte.
Er drehte die zylindrische Röhre um und musterte das Etikett, das jedoch durch häufigen Gebrauch völlig unleserlich geworden war.
»Laut Marktforschung werden hierzulande 2691 verschiedene Lippenstifte angeboten«, erklärte Margaret. »In New York City allein gibt es über 1300 Marken.«
»Wissen Sie, wo Ihre Tochter ihre Schminksachen gekauft hat?«, fragte der Lieutenant Eileen Tiernan, die stocksteif auf dem Stuhl neben seinem Schreibtisch saß.
»Wahrscheinlich in der Queens Mall. Dort hat Moira eigentlich alles gekauft.«
»Fahren wir doch mal hin«, schlug Margaret vor.
Im Einkaufszentrum Queens Mall klapperten sie einen Laden nach dem anderen ab, unter anderem CVS, Revco,
Bath & Body Works, Essentials Plus, Nature’s Element, J.C. Penney, Claire’s und Rite Aid. Nirgends konnte jemand Moiras Lippenstift identifizieren.
»Teenager sind wie Herdentiere«, sinnierte Driscoll, während er mit Margaret mitten im Einkaufszentrum stand. »Sie treffen sich an bestimmten Orten, suchen die gleichen Läden auf und kaufen das gleiche Zeug. Vielleicht haben wir ja einen Laden übersehen.«
Lautes Lachen ertönte aus einer Gruppe Jugendlicher, die gerade aus Candyland herauskam, einem Süßwarenladen. Driscoll und Margaret sahen sich an. »Gib mir mal das Teil«, sagte Margaret. »Sonst denken sie noch, du willst dich an Minderjährige heranmachen.« Mit dem Lippenstift in der Hand ging sie auf die Mädchen zu.
»Könnt ihr mir vielleicht helfen? Ich biete derjenigen zwanzig Dollar, die mir sagen kann, wie dieser Lippenstift heißt.«
»Zwanzig Mäuse! Geben Sie mal her«, rief eine picklige Brünette.
Margaret reichte ihn ihr.
»Ja! Die Marke kenn ich. Das ist einer dieser Fruchtglossys.« Sie gab Margaret den Lippenstift zurück. »Nur zu. Probieren Sie mal.«
»Du meinst, man kann ihn essen?«
»Deshalb heißt er ja Fruit Lick.«
»Wo gibt es den zu kaufen?«
»Bei Cute Cuts. Das ist ein Friseursalon hier in der Queens Mall.«
»Zeig mir, wo der Laden ist, und der Zwanziger gehört dir.«
»Auf Ebene zwei. Direkt neben Gap. Sie können es gar nicht verfehlen.«
Driscoll und Margaret fuhren mit der Rolltreppe nach oben und betraten den Friseursalon.
»Haben Sie einen Termin?«, wollte die wasserstoffblonde Empfangsdame wissen.
»Brauche ich einen?«, gab Driscoll zurück und zückte seine Dienstmarke.
»Was ist das?«, fragte Margaret und reichte der Frau den Lippenstift.
Die Blondine musterte den Lippenstift und gab ihn Margaret zurück. »Das ist ein Fruit Lick. Die Farbe heißt Mango Madness. Die Marke wird hauptsächlich von Teenagern gekauft. Bei Ihrem Teint würde ich aber eher Summer’s Dawn empfehlen …«
»Wir sind Ihnen unendlich dankbar«, sagte Driscoll, während er mit Margaret zur Tür eilte.
75. KAPITEL
»Na, Chef, bist du bereit, ein bisschen mit mir zu tanzen?«, fragte Margaret.
Driscoll sah sie befremdet an.
»Auf den Tasten, John. Auf den Tasten.«
»Wie neckisch.« Grinsend tippte Driscoll den Namen des Lippenstifts in Moiras Laptop. Ein Klingeln ertönte. Weiter als bis MANGOMADNE kam er nicht.
»Zu viele Zeichen«, brummte Margaret.
»Ich werd’s mal kürzen.«
Er tippte MANGO.
»Doch nicht das, Dussel. Lies meine Lippen!«
Er versuchte es mit MANGOMAD.
»Doch nicht das, Dussel. Lies meine Lippen!«
MADMAN
»Doch nicht das, Dussel. Lies meine Lippen!«
Margaret zog den Laptop zu sich heran und sah Moira unverwandt in die Augen. »Dein Spiel ist aus, Schwester. Sprich mit mir.« Als sie keine Antwort erhielt, seufzte sie und versuchte es mit MANMADE.
»Doch nicht das, Dussel. Lies meine Lippen!«
MANMAD, tippte Margaret. »Das ist nämlich das, was du bist, Moira.«
Ein gedämpfter Trompetenton erklang aus den Laptop-Lautsprechern. »Aha! Habt ihr den Lippenstift also gefunden. Jetzt kann euch nichts mehr aufhalten. Alle Achtung!«
Margaret lächelte triumphierend, während Moiras digitales Antlitz rasch im Dunkel verschwand. »Wir sind drinnen!«
Driscoll und Margaret brauchten eine gute halbe Stunde, um herauszufinden, wie Godsend in den Chatrooms jedes Onlinedienstes seine Netze ausgelegt hatte. Moiras Postein- und -ausgang enthielt die gesamte
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