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Der Knochendieb

Der Knochendieb

Titel: Der Knochendieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas O'Callaghan
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hier ist mein Beichtstuhl«, erklärte sie. »Und wo bitten Sie um Vergebung?«
    »In Sullivans Kneipe.«
    »Noch eine befleckte Seele. Aber Sie sind weder wegen
meiner Musik noch wegen meiner Sünden gekommen. Ich habe gesehen, wie Sie vor ein paar Minuten an meiner Haustür geklingelt haben.«
    »Wenn ich gewusst hätte, dass ich ein meisterhaftes Flötensolo zu hören bekommen würde, wäre ich zuerst hierhergekommen.«
    »Vielen Dank. Ich habe an der Juilliard School Musikwissenschaft unterrichtet, doch dann wurde mein Sohn krank, und ich musste beruflich umsatteln.« Sie lächelte. »Und Sie sind?«
    »Mein Name ist Driscoll. Police Lieutenant John Driscoll.«
    »Moment mal. Sie verbreiten irgendwie den Duft der Großstadt. Lassen Sie mich raten. Chicago … nein, Philadelphia.«
    »New York.«
    Die Frau zeigte sich überrascht. »Sind Sie dann hier nicht ein bisschen außerhalb Ihres Zuständigkeitsbereichs?«
    »Ich ermittle über den Tod eines jungen Mädchens infolge eines Autounfalls.«
    »Das verstehe ich nicht«, erwiderte die Frau. »Wenn sie an den Folgen eines Autounfalls gestorben ist, was gibt es dann zu ermitteln?«
    »Doktor Colm Pierce stand an ihrem Bett, als sie starb.«
    Langsam begriff sie. »Gütiger Gott! Was wollen Sie denn damit sagen? Sie geben doch nicht etwa Colm die Schuld?«
    »Aber nein. Ich habe nur ein paar Fragen.«
    »Auf meinem Schoß hat er den Katechismus gelernt, Lieutenant. Colm hat man beigebracht, seine Sünden zu
beichten, noch ehe er sie begangen hat. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
    »Soweit ich weiß, waren Sie in Wellmore Colms Pflegerin.«
    »Es ist Jahre her, dass ich mich um den Jungen gekümmert habe. Was soll das mit irgendwelchen aktuellen Ereignissen zu tun haben?«
    »Wir stellen gründliche Ermittlungen über alle Ärzte an, die an jenem Nachmittag Dienst hatten. Reine Routine. Kein Anlass zur Beunruhigung.«
    »Und wie haben Sie mich gefunden?«
    Das war die Frage, die Driscoll gern vermieden hätte. »Bei meinem Besuch in Wellmore habe ich Gunther Etteridge kennen gelernt, und er hat mich zu Ihnen geschickt.«
    »Aha. Wie geht es denn dem lieben Gunther?«
    »Colm fehlt ihm.«
    Diese Antwort ließ Miss Langley schmunzeln. »Tja, dann mal weiter mit dem Verhör.«
    »Ich will mehr über Doktor Pierce wissen. Wie kam es, dass ein renommierter Radiologe einen Teil seines Lebens in einer kinderpsychiatrischen Anstalt verbracht hat?«
    »Die ersten Lebensjahre des Jungen waren ein Albtraum. Ein regelrechter Horrortrip. Dazu kam dann noch das Feuer, bei dem das Haus seiner Familie abgebrannt ist, und alles, was dort geschehen ist. Colm hieß ursprünglich Colm O’Dwyer. Er wurde unter staatliche Vormundschaft gestellt und in irgendeiner schäbigen Einrichtung untergebracht, bis er mit Hilfe einer von der Familie Pierce finanzierten philanthropischen Stiftung in Wellmore aufgenommen wurde. Da trat Edgar Pierce
auf den Plan. Er schloss den Jungen sofort ins Herz. Auf seltsame Weise sah der Kleine Edgar sogar ähnlich. Mit den pechschwarzen Haaren, den wasserblauen Augen und der Spalte im Kinn hätte er als sein leiblicher Sohn durchgehen können. Man könnte sagen, dass Edgar sich selbst in Colm gespiegelt sah. Und in emotionaler Hinsicht hatte er ihn bereits adoptiert.«
    Ein regelrechter Horrortrip, dachte Driscoll. Was hatte Sheriff Karp noch mal gesagt? Die Bewohner des Hauses des Jungen hatten Schmerzen gelitten. Und zwar ganz entsetzliche Schmerzen. Das hieß, dass der Junge in einer gewalttätigen Umgebung aufgewachsen war - so gewalttätig, dass er sein eigenes Haus in Brand gesteckt und seine Familie getötet hatte, nur um als staatliches Mündel in einem trostlosen Heim zu landen. Jeder mit einem Abschluss in Verhaltenspsychologie konnte einem sagen, dass so die klassische Geburt eines Psychopathen aussah.
    »Driscoll. Der Name stammt von der grünen Insel. Sprechen Sie die alte Sprache noch, Lieutenant?«
    »Ein wenig.«
    »Colm liebte das Wasser. An loch ag crithlonraig ina ciuineas glaoighean se ar go leor croi uaigneach «, rezitierte Miss Langley. Der still glitzernde See spricht zu manch einsamem Herzen.
    »Schön. Sie schreiben Gedichte?«
    »Ich nicht. Aber Colm, unser Sänger. Der Junge hat mit sechzehn einen landesweiten Lyrik-Wettbewerb gewonnen.«
    »Er hat auf Gälisch geschrieben?«
    »Er sprach es fließend. Und hat es nie verlernt.«
    Vom Psychopathen zum Serienmörder, dachte Driscoll.
»Und was hat Sie nach Wellmore geführt?«,

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