Der Knochenjäger
kreischte, und die Hunde drehten endgültig durch. Geifernd und schnappend fielen sie übereinander her. Ein mit Narben übersäter Rottweiler bekam einen zotteligen kleinen Köter zu fassen und schleuderte ihn unmittelbar vor Sachs zu Boden. Sie stampfte neben dem dürren braunen Vieh auf, worauf das Tier hochsprang und die Treppe hinaufraste. Die anderen hetzten hinter ihm her wie Windhunde hinter dem Hasen.
Pammy fing an zu schluchzen. Sachs ging neben ihr in die Hocke und suchte mit ihrer Lampe ein weiteres Mal den Keller ab. Keine Spur von dem Unbekannten.
»Ist ja gut, mein Schatz. Bald bist du wieder daheim. Alles wird gut. Dieser Mann? Kannst du dich an ihn erinnern?«
Sie nickte.
»Ist er weggegangen?«
»Ich weiß nicht. Ich will zu meiner Mami.«
Sie hörte die Rückmeldungen der Kommandotrupps. Erdgeschoß und erster Stock waren gesichert. »Was ist mit dem Taurus und dem Taxi?« fragte Sachs. »Irgendwo zu sehen?«
»Die sind weg«, antwortete einer der Männer. »Er hat sich vermutlich abgesetzt.«
Er ist nicht da, Amelia. Das wäre unlogisch.
»Keller gesichert?« rief jemand von oben.
»Ich bin noch am Absuchen. Einen Moment.«
»Wir kommen runter.«
»Auf keinen Fall«, sagte sie. »Wir haben es hier mit einem ziemlich unberührten Tatort zu tun, und ich möchte, daß er so bleibt. Schickt nur den Notarzt runter, damit er sich um die Kleine kümmert.«
Der Notarzt, ein junger Mann mit sandfarbenen Haaren, stieg die Treppe hinab und kauerte sich neben Pammy.
Erst jetzt bemerkte Sachs die Fußspur, die in den hinteren Teil des Kellers führte - zu einer niedrigen, schwarz gestrichenen Eisentür. Sie folgte ihr auf indirektem Weg, wie Rhyme es ihr beigebracht hatte, damit die Abdrücke erhalten blieben, und kauerte sich nieder. Die Tür stand einen Spalt offen, und dahinter befand sich scheinbar eine Art Tunnel, dunkel, aber nicht pechschwarz, der zu einem anderen Haus führte.
Ein Fluchtweg. Dieser Mistkerl.
Mit den Knöcheln der linken Hand stieß sie die Tür weiter auf. Keinerlei Quietschen. Sie spähte in den Tunnel. Ein schummriges Licht, etwa sechs bis acht Meter entfernt. Kein Schatten, keine Bewegung.
»Streife 5885 an Einsatzleitung«, meldete sich Sachs über Funk.
»Berichten Sie. Kommen«, antwortete Haumann kurz.
»Ich habe einen Tunnel entdeckt, der nach Süden in ein Nachbargebäude führt. Lassen Sie die Fenster und Türen überwachen.«
»Wird gemacht. Kommen.«
»Ich gehe rein«, erklärte sie.
»In den Tunnel? Wir schicken Ihnen Verstärkung, Sachs.«
»Abgelehnt. Ich möchte nicht, daß der Tatort zertrampelt wird. Es reicht, wenn jemand auf die Kleine aufpaßt.«
»Wiederholen Sie das.«
»Nein. Keine Verstärkung.«
Sie schaltete die Lampe aus und kroch hinein.
Auf einen Einsatz als Tunnelratte war sie auf der Akademie nicht vorbereitet worden. Aber Nick hatte ihr einiges darüber erzählt, wie man sich bei einer Durchsuchung verhielt, wenn Gefahr im Verzug war. Die Waffe dicht am Körper halten, nicht zu weit vorstrecken, sonst kann sie einem aus der Hand geschlagen werden. Drei kurze Schritte vorwärts, abwarten. Horchen. Noch zwei Schritte. Abwarten. Horchen. Das nächste Mal vier Schritte. Nichts Vorhersehbares tun.
Verdammt, war das dunkel.
Und woher kam dieser Geruch ? Sie schüttelte sich angewidert, als ihr der scharfe, faulige Gestank in die Nase stieg.
Einen Moment lang meinte sie vor Beklemmung kaum atmen zu können, und sie mußte kurz die Augen schließen, sich konzentrieren, durfte nicht an diese erdrückend engen Mauern denken. Die Angst verging, aber der Geruch wurde schlimmer. Sie mußte würgen.
Ruhig, Mädchen. Ganz ruhig!
Sachs nahm sich zusammen und ging weiter.
Und was war das für ein Geräusch? Irgendwas Elektrisches. Eine Art Summen. Auf- und abschwellend.
Noch drei Meter bis zum anderen Ende des Tunnels. Dahinter konnte sie einen großen Kellerraum erkennen. Düster, aber nicht so dunkel wie der, in dem Pammy festgehalten worden war. Durch ein verrußtes Fenster fiel etwas Licht ein. Sie sah Staubfaden durch die Dämmerung tanzen.
Nein, nein, Mädchen - du hast die Waffe zu weit vorgestreckt. Ein Fußtritt, und sie ist weg. Halt sie dicht am Kopf. Geh so tief wie möglich runter, leg dicht leicht zurück! Mit den Armen zielen, mit dem Hintern abstützen.
Dann war sie an der Tür.
Wieder mußte sie würgen, versuchte das Geräusch zu unterdrücken.
Erwartete er sie nun oder nicht?
Kurz den Kopf vorstrecken, schnell
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