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Der Knochenjäger

Titel: Der Knochenjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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rechts.
    Die Augenhöhlen des Klapperschlangenskeletts waren auf das Clinitron gerichtet. Dieser Hinweis fiel aus der Reihe. Er erfüllte keinerlei Zweck, damit wollte er sie lediglich verhöhnen.
    Irgend etwas kam ihm in den Sinn. Mit Hilfe seines mühseligen Umblättergeräts schlug Rhyme langsam zurück, bis er in Berühmte Kriminalfälle aus dem alten New York wieder auf das Kapitel über James Schneider stieß. Er fand die Stelle, die ihm wieder eingefallen war.
    Ein wohlbekannter Seelenheilkundiger (ein Fachmann auf dem Gebiet der »Psychologie«, von der neuerdings so häufig die Rede ist) vertrat die Meinung, daß es Schneider in letzter Konsequenz gar nicht darum gegangen sei, seinen Opfern etwas anzutun. Der Schurke - so ließ dieser gelehrte Doktor anklingen - habe vielmehr Rache an jenen gesucht, die ihm seiner Meinung nach ein Leid angetan hatten: die städtische Polizei, vielleicht gar die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit.
    Wer vermag schon zu sagen, woher dieser Haß rührte ? Vermutlich blieben seine Ursprünge, wie einst die Quellen des Nils, aller Welt verborgen - möglicherweise sogar dem Schurken selbst. Ein Grund dafür mag ein kaum bekannter Vorfall aus Schneiders Jugend sein: Im zarten Alter von zehn Jahren mußte Schneider mit ansehen, wie sein Vater von Konstablern abgeführt und ins Gefängnis geworfen wurde, wo er bald darauf verstarb - wegen eines Raubes, den er, wie man später feststellte, nicht begangen hatte. Infolge dieser unglückseligen Festnahme geriet die Mutter vom Pfade der Tugend ab, trieb sich auf der Straße herum und verließ ihren Sohn, weshalb dieser in einer staatlichen Heimstatt aufwuchs.
    Beging dieser Wahnsinnige seine abscheulichen Verbrechen vielleicht nur deshalb, weil er nämlicher Obrigkeit, welche seine Familie so leichtfertig zerstört hatte, seinen Hohn und seine Verachtung kundtun wollte?
    Wir werden es wohl nie erfahren.
    Eins indes scheint klar: Indem er seine Rachegelüste an unschuldigen Bürgern ausließ, rächte sich Schneider auch an der Stadt und ihrer Obrigkeit, deren Unfähigkeit, die eigene Bevölkerung zu schützen, er durch seine Taten aufzeigte.
    Lincoln ließ sich wieder ins Kissen sinken und musterte einmal mehr das Täterprofil.
    Erde ist schwerer als alles andere.
    Aus Erde ist unser Planet gemacht, der staubigen Ablagerung seines ehernen Kerns, und sie erstickt einen nicht, drückt einem nicht die Luft aus der Lunge, sondern sie lastet auf jeder einzelnen Zelle, bis man stirbt, weil man sich nicht mehr regen kann.
    Sachs wünschte, sie wäre tot. Sie betete darum. Wollte schnell sterben. Vor Angst oder an einem Herzanfall. Bevor ihr die erste Schaufel voll Erde ins Gesicht klatschte. Sie betete inbrünstiger darum, als Lincoln Rhyme um seine Pillen und den Schnaps gebettelt hatte.
    Sachs lag in dem Grab, das der Unbekannte im Garten hinter ihrem Haus ausgehoben hatte, und spürte, wie ihr Körper Stück für Stück zugeschüttet wurde.
    Er begrub sie langsam, sadistisch langsam geradezu, warf immer nur eine halbe Schaufel voll Erde auf sie und verteilte sie sorgfältig. Er hatte bei den Füßen angefangen. Jetzt war er bei der Brust angelangt, und sie spürte, wie die Erde unter ihren Bademantel rutschte, über ihre Brüste rieselte.
    Immer erdrückender wurde die Last, schwerer und schwerer das Gewicht, das sich auf ihre Lunge legte. Sie konnte nur mehr flach atmen. Er hielt ein-, zweimal inne und schaute sie an, ehe er wieder weitermachte.
    Er will zusehen...
    Die Hände auf den Rücken gefesselt, reckte sie mühsam den Hals, versuchte den Kopf so hoch wie möglich zu halten.
    Dann war ihre Brust vollständig begraben. Die Schultern, der Hals. Die kalte Erde reichte bereits bis an ihr glühend heißes Gesicht, umschloß ihren Kopf so fest, daß sie sich nicht mehr bewegen konnte. Schließlich bückte er sich und riß das Klebeband von ihrem Mund. Sachs wollte schreien, doch er warf ihr eine Handvoll Erde ins Gesicht. Sie erschauderte, mußte würgen. Ihr klangen die Ohren, und aus irgendeinem Grund fiel ihr ein Lied aus ihrer Kindheit ein - »The Green Leaves of Summer«, ein Song, den ihr Vater ein ums andere Mal auf ihrer alten Anlage gespielt hatte. Ein trauriges Lied, schwermütig und klagend. Sie schloß die Augen. Alles wurde schwarz. Einmal öffnete sie noch den Mund und schluckte wieder eine Ladung Erde.
    Die Toten ruhen lassen...
    Und dann war sie unter der Erde.
    Völlig ruhig. Kein Würgen oder Keuchen - die Erde war absolut

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