Der Knochenjäger
spontan wie möglich zu klingen, »du magst doch das Pink Teacup, oder?«
Ein kleines Lokal im West Village, in dem man für wenig Geld große Teller mit Pfannkuchen und Eiern aufgetischt bekam.
Kurzes Schweigen.
»Das wäre nett.«
Es war eine Taktik, die Sachs schon seit Jahren mit Erfolg anwendete.
»Ich muß mich ein bißchen ausruhen, Mama. Ich ruf dich morgen wieder an.«
»Du arbeitest zuviel, Amie. Dieser Fall ... es war doch nicht gefährlich, oder?«
»Ich habe nur den technischen Kram gemacht, Mama. Tatortarbeit. Es gibt nichts, was sicherer wäre.«
»Und sie haben eigens nach dir verlangt!« sagte ihre Mutter. »Dein Vater wäre ja so stolz auf dich«, wiederholte sie dann.
Sie legten auf, und Sachs ging in ihr Schlafzimmer und ließ sich aufs Bett fallen.
Nachdem sie Pammy und ihre Mutter verlassen hatte, hatte Sachs die beiden anderen überlebenden Opfer besucht. Monelle Gerger, verbunden, verpflastert und mit Anti-Tollwut-Serum vollgepumpt, war aus der Klinik entlassen worden und wollte zu ihrer Familie nach Frankfurt zurückkehren, »aber nur für die restlichen Sommermonate«, wie sie ausdrücklich erklärte. »Nicht für immer, müssen Sie wissen.« Und sie hatte auf ihre Stereoanlage und die CD-Sammlung in ihrem heruntergekommenen Apartment im Deutschen Haus gedeutet, wie zum Beweis dafür, daß sie sich durch nichts und niemanden, auch nicht durch einen Psychopathen, für immer aus der Stadt vertreiben ließe.
William Everett war noch im Krankenhaus. Nicht wegen des gebrochenen Fingers natürlich, der war nicht weiter schlimm, aber sein Herz hatte ihm wieder zu schaffen gemacht. Sachs erfuhr zu ihrer Verwunderung, daß er Vorjahren ein Geschäft in Hell's Kitchen besessen hatte, und meinte, er könnte ihren Vater gekannt haben. »Ich habe sämtliche Streifenpolizisten gekannt«, sagte er. Sie schlug ihre Brieftasche auf und zeigte ihm ein Bild ihres Vaters in Ausgehuniform. »Ich glaube schon. Bin mir nicht ganz sicher. Aber ich glaube schon.«
Es waren Anstandsbesuche gewesen, aber Sachs hatte dennoch ihr Notizbuch mitgenommen. Doch keins der Opfer hatte ihr etwas Neues über Nummer 238 mitteilen können.
Sachs warf einen Blick aus dem Fenster ihres Apartments. Sie sah, wie die Gingkos und die Ahornbäume von einem jähen Windstoß geschüttelt wurden. Sie zog ihre Uniform aus, kratzte sich unter den Brüsten - wo es immer noch wie verrückt juckte, nachdem sie die ganze Zeit in der kugelsicheren Weste eingezwängt gewesen war. Sie schlüpfte in einen Bademantel.
Der Unbekannte konnte allenfalls geahnt haben, daß sie ihm auf den Fersen waren, doch das hatte ihm genügt. Sein Unterschlupf in der Van Brevoort Street war völlig ausgeräumt. Obwohl der Vermieter gesagt hatte, daß er bereits letzten Januar dort eingezogen war - unter falschem Namen, wie sie erfuhren, was sie nicht sonderlich überraschte -, hatte Nummer 238 seine ganze Habe mitgenommen, einschließlich des Mülls. Nachdem Sachs den Tatort untersucht hatte, hatte sich die Fingerabdruckabteilung der New Yorker Polizei das Haus vorgenommen und jeden Winkel eingestäubt. Bislang waren die Ergebnisse wenig ermutigend.
»Sieht aus, als hätte er sogar beim Kacken Handschuhe angehabt«, hatte Banks ihr mitgeteilt.
Eine motorisierte Streife hatte das Taxi und den Taurus gefunden. Nummer 238 hatte es wiederum schlau angestellt und sie an der Avenue D, Ecke Neunte Straße abgestellt. Sellittos Ansicht nach hatte es allenfalls sieben bis acht Minuten gedauert, bis sie von einer der Banden in der Gegend bis aufs Chassis ausgeschlachtet worden waren.
Die Einzelteile - und damit auch jede Spur, die sich möglicherweise hätte auffinden lassen - waren mittlerweile vermutlich auf ein gutes Dutzend illegaler Werkstätten in der ganzen Stadt verteilt.
Sachs schaltete den Fernseher ein und suchte eine Nachrichtensendung. Nichts über die Entführungen. In sämtlichen Beiträgen ging es um die Eröffnungsfeierlichkeiten der UN-Friedenskonferenz.
Sie sah Bryant Gumbel, sah den UN-Generalsekretär, einige Botschafter aus Ländern des Nahen Ostens, und sie schaute sich alles wie gebannt an, obwohl es sie nur am Rande interessierte. Sie verfolgte sogar die Werbung, als wolle sie sich jeden einzelnen Spot einprägen.
Denn an eins wollte sie auf gar keinen Fall denken - an ihre Vereinbarung mit Lincoln Rhyme.
Die Sache war klar. Nun, da Carole und Pammy in Sicherheit waren, mußte sie ihren Teil der Abmachung einhalten. Ihn eine Stunde
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