Der Knochenjäger
Schnell!«
ACHT
Eine düstere Grotte. Heiß, feucht und dunkel.
Im Eilschritt rückten sie alle drei durch den schmutzigen Korridor auf die einzige Tür vor, die Sachs erkennen konnte. Auf einem Schild stand »Heizungskeller«. Sie war hinter dem Mann vom Einsatzkommando, der Helm und Körperschutz trug. Der Notarzt kam zuletzt.
Ihre Schulter und die Knöchel der rechten Hand, mit der sie den schweren Koffer trug, schmerzten. Sie wollte ihn mit der linken Hand nehmen und hätte ihn beinahe fallen lassen, ehe sie ihn zu fassen bekam. Dann setzten sie ihren Weg zur Tür fort.
Der Mann vom Einsatzkommando drang zuerst in den schummrigen Raum ein und sicherte mit seiner Maschinenpistole ab. Die am Lauf angebrachte Taschenlampe warf einen fahlen Lichtstreifen durch die Dampfschwaden. Sachs roch die Feuchtigkeit, den Schimmel. Und noch etwas anderes, etwas Widerwärtiges.
Klick. »Amelia?« Rhymes Stimme, die knisternd und verzerrt aus dem Kopfhörer dröhnte, hätte sie fast zu Tode erschreckt. »Wo sind Sie, Amelia?«
Mit zitternder Hand stellte sie den Ton leiser.
»Drinnen«, japste sie.
»Ist sie am Leben?«
Sachs wippte auf den Füßen, starrte das Bild an, das sich ihr bot. Sie kniff die Augen zusammen, war sich zunächst nicht ganz sicher, was sie da sah. Dann wurde es ihr klar.
»O nein«, flüsterte sie. Spürte, wie ihr übel wurde.
Der ekelerregende Geruch nach gekochtem Fleisch umwaberte sie. Aber das war nicht das Schlimmste. Auch nicht der Anblick der hellroten Haut, die sich in großen Fetzen abgelöst hatte. Oder des nahezu völlig hautlosen Gesichts. Nein, am grauenvollsten war T. J. Colfax' Körperhaltung - die verdrehten Gliedmaßen, der verkrümmte Leib. Offenbar hatte sie verzweifelt versucht, der mörderischen Hitze zu entrinnen.
Er hofft, daß das Opfer tot ist. Um seinetwillen...
»Ist sie am Leben?« wiederholte Rhyme.
»Nein«, flüsterte Sachs. »Ich wüßte nicht, wie ... Nein.«
»Ist der Raum gesichert?«
Sachs warf einen Blick zu dem Polizisten, der das Gespräch mitgehört hatte, und nickte.
»Tatort gesichert.«
»Ich möchte, daß Sie den Mann vom Einsatzkommando rausschicken«, befahl Rhyme. »Dann gehen Sie und der Notarzt hin und untersuchen sie.«
Sachs würgte erneut, als ihr der Geruch in die Nase stieg, und unterdrückte mühsam den Brechreiz. Sie und der Notarzt begaben sich auf indirektem Weg zu dem Rohr. Nüchtern und ungerührt beugte er sich vor und befühlte den Hals der Frau. Er schüttelte den Kopf.
»Amelia?« fragte Rhyme.
Die zweite Leiche, mit der sie im Dienst zu tun hatte. Beide an einem Tag.
»Tot. Auf der Stelle«, sagte der Notarzt.
Sachs nickte, gab die offizielle Meldung über Mikrofon durch. »Ein Todesopfer. Tod am Tatort festgestellt.«
»Verbrüht?« fragte Rhyme.
»Allem Anschein nach.«
»An die Wand gefesselt?«
»An ein Rohr. Mit Handschellen. Hände auf dem Rücken. Füße mit einer Wäscheleine gefesselt. Mit Klebeband geknebelt. Er hat ein Dampfrohr aufgeschraubt. Sie war nur einen halben Meter davon entfernt. Mein Gott.« »Schicken Sie den Notarzt auf demselben Weg zurück, auf dem Sie gekommen sind«, fuhr Rhyme fort. »Zur Tür. Achten Sie darauf, wohin Sie treten.«
Sie tat wie befohlen, starrte weiter auf die Leiche. Wie konnte sich die Haut nur so rot verfärben? Wie der Panzer eines gekochten Krebses.
»In Ordnung, Amelia. Wenden Sie sich jetzt der Tatortarbeit zu. Öffnen Sie den Koffer.«
Sie sagte nichts. Starrte weiter vor sich hin.
»Amelia, sind Sie an der Tür?... Amelia?«
»Was?« schrie sie.
»Sind Sie an der Tür?«
Er klang so verdammt ruhig. So ganz anders als der bettlägerige Mann, an dessen blasierten, herrischen Tonfall sie sich nur zu gut erinnerte. Jetzt strahlte die Stimme Ruhe aus ... und noch etwas anderes. Sie wußte nicht, was.
»Ja, ich bin an der Tür. Wissen Sie, das ist verrückt.«
»Absolut wahnwitzig«, pflichtete ihr Rhyme bei. Er klang beinahe fröhlich. »Ist der Koffer offen?«
Sie klappte den Deckel auf und schaute hinein. Pinzetten und Zangen, ein Spiegel mit biegsamem Griff, Wattebäusche, Pipetten, Zickzackscheren, Meßröhrchen, Spatel, Skalpelle ...
Was war das alles?
... ein Spurenstaubsauger, Gazestreifen, Briefkuverts, Streusiebe, Pinsel, Scheren, Plastik- und Papiertüten, Metalldosen, Flaschen - fünfprozentige Salpetersäure, Ninhydrin, Jod, allerlei Zubehör zum Sichtbarmachen und Sichern von Fingerabdrücken.
Unmöglich. »Sie haben mir anscheinend
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