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Der Knochenjäger

Titel: Der Knochenjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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lang, kletterte bis hoch zur Decke und richtete die starke Lampe in Winkel, in die vermutlich seit fünfzig Jahren kein Lichtstrahl mehr gefallen war. »Nein, ich sehe gar nichts.«
    »Gehen Sie wieder zur Tür. Beeilung.«
    Sie zögerte einen Moment, dann ging sie zurück.
    »Okay. Ich bin da.«
    »Nun schließen Sie die Augen. Was riechen Sie?«
    »Riechen? Haben Sie riechen gesagt?« Hatte er nicht mehr alle?
    »Überprüfen Sie immer, wie es an einem Tatort riecht. Es kann Ihnen hunderterlei Dinge verraten.«
    Sie ließ die Augen weit offen und atmete tief ein. »Tja, ich weiß nicht, wonach es riecht«, sagte sie.
    »Das ist keine befriedigende Antwort.«
    Sie atmete heftig aus und hoffte, daß das Zischen laut und deutlich bis zu ihm durchdrang. Dann kniff sie die Augen zusammen, holte tief Luft, mußte wieder gegen die Übelkeit ankämpfen. »Schimmel, Modergeruch. Heißes Wasser, vermutlich vom Dampf.«
    »Sie wissen nicht, woher es kommt. Beschreiben Sie es einfach.«
    »Heißes Wasser. Das Parfüm des Opfers.«
    »Sind Sie sicher, daß es sich um ihr Parfüm handelt?«
    »Na ja, nein.«
    »Tragen Sie welches?«
    »Nein.« »Könnte es Aftershave sein? Vom Notarzt? Vom Einsatzbeamten?«
    »Ich glaube nicht. Nein.«
    »Beschreiben Sie es.«
    »Trocken. Wie Gin.«
    »Raten Sie mal. Handelt es sich um Aftershave oder um ein Frauenparfüm?«
    Was hatte Nick benutzt? Arrid Extra Dry.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Männerduft.«
    »Gehen Sie zur Leiche.«
    Sie warf einen Blick zu dem Rohr, schaute dann zu Boden.
    »Ich-«
    »Na los«, sagte Lincoln Rhyme.
    Sie tat es. Die Haut sah aus wie rot-schwarze Birkenrinde.
    »Riechen Sie an ihrem Hals.«
    »Es ist alles ... ich meine, da ist nicht mehr viel Haut übrig.«
    »Tut mir leid, Amelia, aber Sie müssen das tun. Wir müssen feststellen, ob es sich um ihr Parfüm handelt.«
    Sie tat, wie ihr befohlen, atmete tief ein. Würgte und hätte sich beinahe übergeben.
    Ich muß gleich kotzen, dachte sie. Genau wie an dem Abend bei Pancho, als sie und Nick sich mit geeisten Daiquiries die Kante gegeben hatten. Zwei ausgebuffte Cops, die dämliche Cocktails schlürften, in denen blaue Plastikschwertfische schwammen.
    »Riechen Sie das Parfüm?«
    Jetzt ist es soweit... Sie würgte wieder.
    Nein. Nein! Sie schloß die Augen, konzentrierte sich auf ihre schmerzenden Gelenke. Auf das schlimmste - ihr Knie. Und wie durch ein Wunder verging die Übelkeit. »Es ist nicht ihr Parfüm.«
    »Gut. Dann haben wir es möglicherweise mit einem ziemlich eitlen Kerl zu tun, der viel Aftershave benutzt. Könnte ein Hinweis auf seine gesellschaftliche Herkunft sein. Oder er will damit einen anderen Geruch überdecken, den er hinterlassen haben könnte. Knoblauch, Zigarren, Fisch, Whisky Wir müssen das feststellen. Nun hören Sie mal genau zu, Amelia.«
    »Was ist?«
    »Ich möchte, daß Sie sich in ihn versetzen.«
    O je. Die Psychoscheiße. Genau das hatte ihr noch gefehlt.
    »Ich glaube nicht, daß wir für so was Zeit haben.«
    »Bei der Tatortarbeit hat man nie genügend Zeit«, fuhr Rhyme beschwichtigend fort. »Aber davon lassen wir uns nicht abhalten. Versetzen Sie sich einfach in seine Lage. Sie machen sich die gleichen Gedanken wie er. Ich möchte, daß Sie genauso denken wie er.«
    »Tja, und wie stell' ich das an?«
    »Gebrauchen Sie Ihre Phantasie. Dazu haben Sie sie bekommen. Sie sind jetzt der Täter. Sie haben sie gefesselt und geknebelt. Sie haben sie in diesen Raum gebracht. Sie ketten sie an das Rohr. Sie schüchtern sie ein. Sie kosten es aus.«
    »Woher wollen Sie wissen, daß er es ausgekostet hat?«
    »Sie kosten es aus. Nicht er. Woher ich das weiß? Weil sich niemand soviel Mühe macht, wenn es ihm keinen Genuß bereitet. Nun, Sie kennen sich hier aus. Sie waren schon mal da.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Sie mußten vorher auf Erkundung gehen - einen einsamen Ort finden, zu dem eine Dampfleitung führt. Und die Hinweise besorgen, die er bei den Bahngleisen hinterlassen hat.«
    Sachs war wie gebannt von seiner Stimme, die jetzt tiefer klang, einschmeichelnder. Sie vergaß vollkommen, daß sein Körper zu nichts mehr zu gebrauchen war. »Oh. Genau.«
    »Sie schrauben die Abdeckplatte von dem Dampfrohr. Was denken Sie dabei?«
    »Ich weiß es nicht. Daß ich es hinter mich bringen möchte. Raus will.«
    Doch kaum hatte sie es ausgesprochen, als sie auch schon dachte: Stimmt nicht. Und sie war alles andere als überrascht, als sie ihn mit der Zunge schnalzen

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