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Der Knochenjäger

Titel: Der Knochenjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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nach uns haben.«
    Sachs näherte sich der Frau.
    »Sie kennen die Vorgehensweise?«
    »Ja.« Sie trat dicht vor die Leiche.
    Erstarrte dann. Die Hände nur mehr Zentimeter von dem Opfer entfernt.
    Ich kann das nicht. Sie erschauderte. Befahl sich weiterzumachen. Doch sie brachte es nicht fertig - ihre Muskeln gehorchten ihr nicht.
    »Sachs. Sind Sie noch da?«
    Sie brachte keine Antwort heraus.
    Ich kann das nicht.... Schlicht und einfach. Ich kann nicht.
    »Sachs?«
    Und dann besann sie sich, und irgendwie hatte sie plötzlich ihren Vater vor Augen, in Uniform, wie er sich auf dem heißen, mit Schlaglöchern übersäten Bürgersteig in der Zweiundvierzigsten Straße West über einen verlotterten Trunkenbold beugte, den Arm um ihn legte und ihm nach Hause half. Dann sah sie Nick, wie er in einer Kneipe in der Bronx beim Bier saß und sich lachend mit einem Straßenräuber unterhielt, der ihn auf der Stelle umbringen würde, wenn er wüßte, daß er es mit einem Undercover-Cop zu tun hatte. Die beiden Männer, die in ihrem Leben eine Rolle gespielt hatten, und beide taten ihre Pflicht.
    »Amelia?«
    Sie hatte keine Ahnung, warum diese Bilder so beruhigend wirkten und woher diese Ruhe rührte. »Hier«, sagte sie zu Lincoln Rhyme und machte sich an die Arbeit, wie sie es gelernt hatte. Sie kratzte die Fingernägel aus, kämmte die Haare durch - Kopf- und Schamhaar. Teilte Rhyme jeden einzelnen Schritt mit.
    Achtete nicht auf die blinden Augen ...
    Auch nicht auf das rote Fleisch.
    Versuchte, nicht auf den Geruch zu achten.
    »Ziehen Sie Ihr die Kleidung aus«, sagte Rhyme. »Schneiden Sie alles ab. Breiten sie erst einen Bogen Zeitungspapier unter ihr aus, damit keine Spur verlorengeht, falls etwas herunterfällt.«
    »Soll ich die Taschen überprüfen?«
    »Nein, das machen wir hier. Wickeln Sie alles in das Zeitungspapier ein.«
    Sachs schnitt die Bluse und den Rock ab, den Slip und schlug die Kleider in Papier ein. Danach entfuhr ihr ein erleichterter Seufzer.
    »Amelia? Ist alles in Ordnung?«
    »Ja!« japste sie. »Alles bestens.«
    »Beschreiben Sie die Fesseln.«
    »Klebeband als Knebel, fünf Zentimeter breit. Handelsübliche Handschellen an den Händen, Wäscheleine um die Füße.«
    »Suchen Sie die Leiche mit Polilight ab. Vielleicht hat er sie mit bloßen Händen berührt. Achten Sie auf Abdrücke.«
    Sie tat es. »Nichts.«
    »Na schön. Nun zerschneiden Sie die Wäscheleine - aber nicht durch den Knoten. Tüten Sie sie ein. In Plastik.«
    Als Sachs damit fertig war, sagte Rhyme: »Wir brauchen die Handschellen.«
    »Okay Ich hab' einen Handschellenschlüssel dabei.«
    »Nein, Amelia. Schließen Sie sie nicht auf.«
    »Was?«
    »Am Handschellenschloß findet man häufig die besten Täterspuren.«
    »Tja, und wie soll ich sie ohne Schlüssel runterkriegen ?« Sie lachte.
    »Im Koffer finden Sie eine feine Säge.«
    »Soll ich die Handschellen damit aufsägen?«
    Kurzes Schweigen. Dann sagte Rhyme: »Nein, nicht die Handschellen, Amelia.«
    »Tja, was soll ich denn dann... das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Ihre Hände?«
    »Sie müssen es tun.« Ihr Zaudern ärgerte ihn.
    Okay, das reichte. Sellitto und Polling hatten sich einen Irren als Berater genommen. Sollten sie von ihr aus ihren Posten verlieren, aber sie ließ sich da nicht mit reinreiten.
    »Niemals.«
    »Amelia, das gehört ebenfalls zur Spurensicherung.«
    Wieso klang er bloß so überzeugend? Sie dachte verzweifelt über eine Ausflucht nach. »Wenn ich sie absäge, wird alles voller Blut -«
    »Ihr Herz schlägt nicht mehr.«
    Wieder kam ihr die Galle hoch.
    »Machen Sie weiter, Amelia. Gehen Sie zum Koffer. Nehmen Sie die Säge heraus. Sie ist im Deckel.« Und er fügte ein frostiges »Bitte« hinzu.
    »Warum mußte ich dann erst ihre Fingernägel auskratzen? Ich brauch' Ihnen doch bloß die Hände mitzubringen!«
    »Amelia, wir brauchen die Handschellen. Wir müssen sie hier öffnen, und wir können nicht auf den Gerichtsmediziner warten. Es muß sein.«
    Sie ging zur Tür. Löste die Riemen, nahm die fies aussehende Säge aus dem Koffer. Sie starrte zu der Frau, die reglos und verkrümmt mitten in diesem scheußlichen Raum hing.
    »Amelia? Amelia?«
    Am Himmel hing nach wie vor eine stickige gelbe Dunstglocke, und die umliegenden Gebäude waren schwarz und rußig wie verkohlte Knochen. Aber Sachs war noch nie so froh gewesen, draußen an der frischen Stadtluft zu sein. Sie hatte den Spurensicherungskoffer in der einen Hand, die Säge in der

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