Der Knochenjäger
aller Verbissenheit widmen mußte. Wettkämpfe. Man wollte es aller Welt beweisen - und sich selbst. Basketball, Tennis, Marathonlauf, alles im Rollstuhl. Falls er jemals Sport treiben müßte, das stand für Lincoln Rhyme fest, würde er angeln gehen. Obwohl das Auswerfen der Schnur mit einem einzigen Finger vermutlich sogar die moderne Hochleistungstechnologie überforderte.
»In der Presse wird er als Serienkidnapper bezeichnet«, sagte Polling.
Wem der Pantoffel paßt, dachte Rhyme.
»Und der Bürgermeister dreht durch. Will das FBI hinzuziehen. Ich hab' den Chef dazu überredet, diesmal nicht nachzugeben. Aber wir dürfen nicht noch ein Opfer verlieren.«
»Wir werden unser Bestes tun«, sagte Rhyme ätzend.
Polling trank den schwarzen Kaffee und trat unmittelbar neben das Bett. »Ist mit Ihnen alles in Ordnung, Lincoln?«
»Mir geht's bestens«, sagte Rhyme.
Polling musterte ihn einen Moment lang und nickte dann Sellitto zu. »Klären Sie mich auf. In einer halben Stunde gibt's die nächste Pressekonferenz. Haben Sie die letzte gesehen? Gehört, was der Reporter gefragt hat? Wie die Angehörigen des Opfers die Nachricht aufgenommen hätten, daß es verbrüht wurde?«
Banks schüttelte den Kopf. »Mann.«
»Ich hätt' dem Scheißkerl beinah eine geknallt«, sagte Polling.
Im Zuge der Ermittlungen wegen der Polizistenmorde vor dreieinhalb Jahren, so erinnerte sich Rhyme, hatte der Captain die Kamera eines Fernsehteams zertrümmert, als ein Reporter wissen wollte, ob Polling deshalb so rücksichtslos vorgehe, weil es sich bei dem Verdächtigen, Dan Shepherd, um einen Polizisten handle.
Polling und Sellitto zogen sich in eine abgelegene Ecke zurück, wo der Detective ihn auf den neuesten Stand brachte. Als der Captain diesmal die Treppe hinabstieg, wirkte er, wie Rhyme feststellte, nicht mehr halb so munter wie zuvor.
»Okay«, meldete sich Cooper. »Wir haben ein Haar. Es war in ihrer Tasche.«
»Ein ganzes Haar?« fragte Rhyme, allerdings ohne große Hoffnung, und er war nicht überrascht, als Cooper seufzte. »Ohne Wurzel leider.«
Ein Haar ohne Wurzel galt nicht als individuelle Spur, sondern lediglich als mögliches Indiz. Man konnte damit keinen DNS-Test durchführen und es einer bestimmten Person zuordnen. Dennoch hatte es eine gewisse Beweiskraft. Wenn ein am Tatort gefundenes Haar mit den Haaren eines Verdächtigen übereinstimmte, so hatte die kanadische Royal Mounted Police vor ein paar Jahren in einer berühmten Studie festgestellt, bestand eine Wahrscheinlichkeit von etwa viertausendfünfhundert zu eins, daß er derjenige war, der es verloren hatte. Der Haken dabei war, daß man anhand eines Haares nur wenig Rückschlüsse auf die Person ziehen konnte, von der es stammte. Das Geschlecht festzustellen war fast unmöglich, und selbst zur Rassenzugehörigkeit ließen sich kaum zuverlässige Aussagen machen. Altersschätzungen waren nur bei Kinderhaaren möglich. Auch die Farbe war wegen der Vielzahl von Pigmentationsmöglichkeiten sowie diverser kosmetischer Färbemittel nur von bedingter Aussagekraft, und da jeder Mensch tagtäglich zig Haare verlor, ließ sich auch nicht feststellen, ob der Verdächtigte zu Kahlköpfigkeit neigte.
»Vergleich es mit denen des Opfers. Nimm eine Schuppenzählung und einen Markschicht-Pigmentations-Vergleich vor«, befahl Rhyme.
Wenig später blickte Cooper wieder vom Mikroskop auf. »Von ihr ist es nicht, von der Colfax, meine ich.«
»Beschreibung?« fragte Rhyme.
»Hellbraun. Keine Krause, daher meine ich, nicht negrid. Die Pigmentation deutet darauf hin, daß es sich nicht um einen Asiaten handelt.«
»Von einem Weißen also«, sagte Rhyme und deutete mit dem Kopf auf die Tabelle an der Wand. »Bestätigt, was der Zeuge ausgesagt hat. Kopf- oder Körperhaar?«
»Kaum Abweichungen im Durchmesser und eine einheitliche Pigmentverteilung. Es ist ein Kopfhaar.«
»Länge?«
»Drei Zentimeter.«
Thom fragte, ob er im Täterprofil festhalten sollte, daß der Unbekannte braune Haare habe.
»Nein«, sagte Rhyme. »Damit warten wir, bis wir es bestätigen können. Schreib nur auf, daß er unseres Wissens eine marineblaue Skimaske trägt. Die Fingernagelproben, Mel?«
Cooper untersuchte sie, fand aber nichts Verwertbares.
»Der Abdruck, den Sie gefunden haben, Amelia. Der am Tank. Schauen wir uns den mal an. Könnten Sie ihn mir bitte zeigen?«
Sachs zögerte, dann brachte sie ihm die Polaroidaufnahme.
»Ihr Monster«, sagte Rhyme. Es war ein großer
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