Der Knochenjäger
Tunnel gewöhnt, so daß sie sehen konnte, wie die kleinen Scheißviecher näher rückten. Eins fiel ihr besonders auf.
Monelles Bein brannte wie verrückt, doch am schlimmsten waren die Schmerzen im Arm, dort, wo er ihr einen tiefen Schnitt zugefügt hatte. Da ihre Hände auf den Rücken gefesselt waren, konnte sie die Wunde nicht sehen und wußte nicht, wieviel Blut sie verloren hatte. Aber es mußte eine Menge sein; sie war sehr schwach und spürte, daß beide Arme und der ganze Oberkörper klebrig und naß waren.
Wieder das Scharren - nadelspitze Krallen auf Beton. Graubraune Knäuel, die raschelnd in den dunklen Winkeln herumwuselten. Die Ratten rückten weiter auf sie vor. Es waren mindestens hundert.
Sie zwang sich dazu, völlig stillzuliegen, und ließ das große schwarze Tier nicht aus den Augen. Sie hatte sie »die Schwarze« getauft. Es war ganz vorn, huschte hin und her, beobachtete sie.
Monelle Gerger war mit neunzehn schon zweimal um die Welt gereist. Sie war durch Sri Lanka, Kambodscha und Pakistan getrampt. Durch Nebraska, wo die Frauen abfällig auf ihre Augenbrauenringe und die von keinem Büstenhalter gebändigten Brüste geglotzt hatten. Durch den Iran, wo die Männer wie läufige Hunde auf ihre bloßen Arme gestarrt hatten. Sie hatte in den Stadtparks von Guatemala City geschlafen und in Nicaragua drei Tage unter Rebellen verbracht, nachdem sie sich auf dem Weg zu einem Wildschutzgebiet verirrt hatte.
Aber sie hatte noch nie so viel Angst gehabt wie jetzt.
Mein Gott.
Und am meisten fürchtete sie sich vor dem, was sie sich nun zumuten wollte.
Eine Ratte, eine kleine mit braunem Fell, rannte ganz nah heran, schoß nach vorn, zuckte zurück und rückte wieder ein paar Zentimeter vor. Ratten waren unheimlich, so stellte sie fest, weil sie eher an Reptilien erinnerten als an Säugetiere. Die schlangenartige Schnauze, der schlangenartige Schwanz. Und diese furchtbaren roten Augen.
Die Schwarze, so groß wie eine kleine Katze, war unmittelbar dahinter. Sie hockte sich auf die Hinterpfoten und starrte auf das Ding, das sie so faszinierte. Beobachtete. Wartete ab.
Dann griff das kleine Vieh an. Ein leises Scharren, als die winzigen Füße lostrippelten. Ohne sich um ihren dumpfen Aufschrei zu kümmern, schoß es blitzschnell auf sie zu. Flink wie ein Kakerlak riß es ein Stück aus ihrem verletzten Bein. Die Wunde brannte wie Feuer. Monelle wimmerte - vor Schmerz, ja, aber auch vor Wut. Verflucht, dich will ich nicht! Sie rammte der Ratte den Fuß in den Rücken. Ein dumpfes Knacken, das Tier zuckte noch einmal und rührte sich nicht mehr.
Eine andere rannte auf ihren Hals zu, biß zu, sprang zurück und starrte sie mit zuckender Schnauze an, so als leckte sie sich genüßlich das Maul und kostete den Geschmack aus.
Dieser Schmerz ...
Sie fing an zu zittern - gepeinigt von dem entsetzlichen Brennen, das von der Bißwunde ausstrahlte. Dieser Schmerz! Monelle mußte sich zwingen, wieder stillzuliegen.
Der kleine Quälgeist setzte zu einem erneuten Angriff an, zuckte aber plötzlich zurück und huschte davon. Monelle sah, warum. Die Schwarze setzte sich endlich an die Spitze des Rudels. Sie wollte sich die Beute holen, auf die sie es abgesehen hatte.
Brav, brav.
Auf sie hatte sie gewartet. Weil sie sich anscheinend nichts aus dem Blut oder ihrem Fleisch machte - schon vor zwanzig Minuten war sie einmal ganz nahe herangetrippelt, angelockt von dem silbernen Klebeband über ihrem Mund.
Die kleineren Ratten huschten zurück ins Getümmel, als die Schwarze auf ihren kleinen Rattenfüßen nach vorn trippelte. Verharrte. Dann wieder vorrückte. Noch zwei Meter, anderthalb.
Dann einen.
Sie blieb mucksmäuschenstill liegen. Atmete so flach wie möglich, aus Angst, sie könnte sie verschrecken.
Die Schwarze verharrte. Trippelte wieder weiter. Dann blieb sie stehen. Einen halben Meter von ihrem Kopf entfernt.
Rühr keinen Muskel.
Sie machte einen Katzenbuckel und fletschte fortwährend die braungelben Zähne. Wieder rückte sie einen halben Meter vor, blieb stehen, sah sich mit flinken Blicken um. Hockte sich auf, rieb die Vorderpfoten aneinander, kam langsam näher.
Monelle Gerger stellte sich tot.
Weitere fünfzehn Zentimeter. Los!
Komm schon!
Dann war sie an ihrem Gesicht. Sie roch nach Öl und Abfällen, Fäkalien und verdorbenem Fleisch. Sie beschnupperte sie, bis sie die kitzelnden Schnurrhaare kaum mehr ertragen konnte, und dann entblößte sie die kleinen Zähne und machte sich am
Weitere Kostenlose Bücher