Der Knochenjäger
East Village gegangen war, wo er sich versteckt und ihr aufgelauert hatte.
»Was für ein Wohnheim?« fragte Sellitto.
»Das Deutsche Haus. Dort wohnen, wissen Sie, hauptsächlich deutsche Auswanderer und Studenten.«
»Was ist danach geschehen?« fuhr Sellitto fort. Sachs stellte fest, daß der Detective zwar schroffer und unwirscher als Rhyme wirkte, aber genaugenommen der Sensiblere von beiden war.
»Er hat mich in den Kofferraum von einem Auto geschmissen und hierher gebracht.«
»Haben Sie sein Gesicht gesehen?«
Die Frau schloß die Augen. Sachs wiederholte die Frage, und Monelle verneinte. Er hatte, genau wie Rhyme vermutete, eine marineblaue Skimaske getragen.
»Und Handschuhe.«
»Beschreiben Sie sie.«
Sie waren aus Leder gewesen. An die Farbe konnte sie sich nicht mehr erinnern.
»Irgendwelche ungewöhnlichen Merkmale? Beim Kidnapper?«
»Nein. Es war ein Weißer. Das habe ich gesehen.«
»Konnten Sie die Zulassungsnummer des Taxis erkennen?« fragte Sellitto.
»Was?« fragte das Mädchen, das immer mehr in seine Muttersprache verfiel.
»Haben Sie das -«
Sachs fuhr zusammen, als Rhyme auf deutsch dazwischenrief: »Das Nummernschild.«
Sie dachte: Woher, zum Teufel, weiß er das alles? Sie wiederholte das Wort, worauf das Mädchen den Kopf schüttelte und die Augen zusammenkniff. »Wie kommen Sie auf ein Taxi?«
»Hat er etwa kein Taxi gefahren?« »Ein Taxi? Nein. Es war ein ganz normales Auto.«
»Hast du das gehört, Lincoln?« fragte Sellitto.
»Ja. Unser Knabe hat sich einen anderen fahrbaren Untersatz besorgt. Und er hat sie in den Kofferraum gesteckt, folglich ist es weder ein Kombi noch ein Wagen mit Fließheck.«
Sachs wiederholte es. Das Mädchen nickte. »Eine Art Limousine.«
»Irgendeine Ahnung, welches Fabrikat oder welche Farbe?« hakte Sellitto nach.
»Ein heller Ton, glaube ich«, antwortete Monelle. »Silbern oder grau. Oder eine Art Hellbraun, Sie wissen schon. Wie heißt es doch gleich?«
»Beige?«
Sie nickte.
»Möglicherweise beige«, sagte Sachs laut, so daß auch Rhyme es hören konnte.
»War etwas in dem Kofferraum?« fragte Sellitto. »Irgend etwas? Werkzeuge, Kleidungsstücke, Koffer?«
Nein, sagte Monelle, er sei leer gewesen.
Rhyme hatte eine weitere Frage. »Wonach hat es im Kofferraum gerochen?«
Sachs gab die Frage weiter.
»Ich weiß es nicht.«
»Nach Öl und Benzin?«
»Nein. Es hat irgendwie ... frisch gerochen.«
»Dann war es möglicherweise ein Neuwagen«, erwiderte Rhyme.
Monelle brach in Tränen aus. Dann schüttelte sie den Kopf. Sachs ergriff ihre Hand und schließlich fuhr sie fort. »Wir sind eine ganze Weile gefahren. Jedenfalls ist es mir so vorgekommen.«
»Sie machen das ganz prima«, sagte Sachs.
Rhyme unterbrach sie. »Sagen Sie ihr, daß sie sich ausziehen soll.«
»Was?«
»Sie soll sich ausziehen.«
»Ich werde mich hüten.« »Die Sanitäter sollen ihr ein Hemd geben. Wir brauchen ihre Kleidung.«
»Aber sie weint«, flüsterte Sachs.
»Bitte«, drängte Rhyme. »Es ist wichtig.«
Sellitto nickte, und Sachs biß die Zähne zusammen, erklärte dem Mädchen, was es mit der Kleidung auf sich hatte, und war überrascht, als Monelle nickte. Sie war, wie sich herausstellte, froh, daß sie die blutigen Sachen loswurde. Sellitto ging weg, damit sie ungestört war, und beriet sich mit Bo Haumann. Monelle zog das Hemd an, das ihr einer der Sanitäter reichte, und ein Kriminalpolizist hängte ihr seinen Regenmantel um. Sachs verstaute die Jeans und die T-Shirts in einer Beweismitteltüte.
»Erledigt«, meldete sich Sachs über Funk.
»Gehen Sie jetzt mit ihr den Tatort ab«, sagte Rhyme.
»Was?«
»Aber sorgen Sie dafür, daß sie hinter Ihnen bleibt. Sie darf keinerlei Spuren verwischen.«
Sachs schaute zu der jungen Frau, die zwischen zwei Sanitätswagen auf einer Bahre lag.
»Sie ist nicht in der Verfassung dazu. Er hat ihr in den Arm und ins Bein geschnitten. Bis auf die Knochen. Sie hat Blut verloren, und die Ratten sind über sie hergefallen.«
»Kann sie sich bewegen?«
»Vermutlich. Aber ist Ihnen klar, was sie gerade durchgemacht hat?«
»Sie kann Ihnen den Weg weisen, den sie gegangen sind. Sie kann Ihnen sagen, wo er sich aufgehalten hat.«
»Sie muß ins Krankenhaus. Sie hat viel Blut verloren.«
Eine kurze Pause. »Bitten Sie sie einfach darum«, sagte er freundlich.
Doch der leutselige Tonfall war aufgesetzt, und Sachs wußte genau, wie ungeduldig er war. Rhyme, so erkannte sie, war es nicht
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