Der Knochenjäger
sie unwirsch. »Auf dem Schmutz.«
»Handelt es sich um den gleichen Schmutz wie an den anderen Stellen auch?«
»Ja.« Dann schaute sie genauer hin. Verdammt, er war anders. »Na ja, nicht genau. Er hat eine andere Farbe.«
Hatte er denn immer recht?
»Tüten Sie ihn ein«, ordnete Rhyme an. »In Papier.«
Als sie die Schmutzkörner einschaufelte, sagte er: »Amelia?«
»Ja?«
»Er ist nicht da«, sagte er beruhigend.
»Ich nehm's an.«
»Ich habe Ihnen irgendwas angehört.«
»Mir geht's gut«, sagte sie kurz angebunden. »Ich mache jetzt eine Geruchsprobe. Es riecht nach Blut, Moder und Schimmel. Und wieder nach dem Aftershave.«
»Das gleiche wie zuvor?«
»Ja.«
»Woher kommt der Geruch?«
Schnüffelnd ging Sachs herum, suchte den Raum spiralförmig ab, bis sie zu einem weiteren Holzpfosten kam.
»Hier. Hier ist er am stärksten.«
»Was ist >hier<, Amelia? Sie müssen mir Beine und Augen ersetzen, denken Sie dran.«
»Einer dieser hölzernen Stützbalken. Wie der, an den sie gefesselt war. Etwa fünf Meter davon entfernt.«
»Dann hat er sich möglicherweise dort angelehnt. Irgendwelche Abdrücke?«
Sie sprühte das Holz mit Ninhydrin ein und richtete das Polilight darauf.
»Nein. Aber der Geruch ist ziemlich stark.«
»Stellen Sie fest, wo der Pfosten am stärksten riecht, und nehmen Sie eine Probe vom Holz. Im Koffer ist eine Bohrmaschine. Nehmen Sie einen Probenbohrer - das ist eine Art hohler Bohraufsatz - und schrauben Sie ihn auf. Und zwar am sogenannten Bohrkopf. Er ist - «
»Ich habe selber eine Bohrmaschine«, versetzte sie knapp.
»Oh«, sagte Rhyme.
Sie bohrte ein Stück Holz aus dem Pfosten, wischte sich dann den Schweiß von der Stirn. »In Plastik eintüten?« fragte sie. Er bestätigte es. Sie fühlte sich schlapp, senkte den Kopf und verschnaufte kurz. Verflucht, hier drunten bekam man keine Luft.
»Sonst noch etwas?« fragte Rhyme.
»Nein, soweit ich das erkennen kann.«
»Ich bin stolz auf Sie, Amelia. Kommen Sie zurück und bringen Sie Ihre Schätze mit.«
SECHZEHN
»Vorsichtig«, rief Rhyme.
»Ich kann das sehr gut.«
»Alt oder neu?«
»Schhh«, sagte Thom.
»Ach, um Himmels willen. Die Klinge, meine ich. Ist sie alt oder neu?«
»Nicht atmen ... Na, das hätten wir. Glatt wie ein Kinderpopo.«
Diesmal ging es nicht um Forensik, sondern um Körperpflege.
Thom rasierte Rhyme zum erstenmal seit einer Woche. Außerdem hatte er ihm die Haare gewaschen und nach hinten gekämmt.
Vor einer halben Stunde hatte Rhyme, der darauf wartete, daß Sachs mit den sichergestellten Spuren eintraf, Cooper aus dem Zimmer geschickt, während Thom einen Katheter mit Vaseline bestrich und einführte. Nachdem das vollbracht war, hatte Thom ihn angeschaut und gesagt: »Du siehst beschissen aus. Ist dir das klar?«
»Ist mir egal. Warum sollte ich mich um so was kümmern?«
Und mit einemmal war ihm klar, daß es ihm etwas ausmachte.
»Wie war's mit einer Rasur?« hatte der junge Mann gefragt.
»Wir haben keine Zeit.«
In Wahrheit hatte Rhyme lediglich Bedenken, daß Dr. Bergers Bereitschaft, ihm beim Selbstmord behilflich zu sein, schwinden könnte, wenn er ihn so geschniegelt und gepflegt sah. Ein verwahrloster Patient wirkt nun einmal niedergeschlagener.
»Und waschen sollten wir uns auch.«
»Nein.«
»Wir haben jetzt Gesellschaft, Lincoln.«
»Na schön«, hatte Rhyme schließlich gebrummt.
»Und den Pyjama sollten wir auch ablegen. Was meinst du?«
»Der ist doch völlig in Ordnung.«
Aber auch das hieß soviel wie ja.
Nun, da er frisch gewaschen und rasiert war, Jeans und ein weißes Hemd anhatte, achtete er nicht auf den Spiegel, den sein Adlatus ihm vorhielt.
»Nimm ihn weg.«
»Ein bemerkenswerter Fortschritt.«
Rhyme schniefte verächtlich. »Ich mache einen Spaziergang, bis sie wieder da sind«, verkündete er und ließ den Kopf ins Kissen sinken. Mel Cooper drehte sich mit verdutzter Miene zu ihm um.
»Im Kopf«, erklärte Thom.
»Im Kopf?«
»Ich stelle es mir vor«, versetzte Rhyme.
»Ist ja ein dolles Ding«, sagte Cooper.
»Ich kann gehen, wohin ich will, in jede Gegend, und werde nie überfallen. Ich kann Bergwanderungen unternehmen, ohne müde zu werden. Ich kann sogar Gipfel besteigen, wenn ich will. Oder einen Schaufensterbummel an der Fifth Avenue machen. Die Sachen, die ich dabei sehe, sind natürlich nicht unbedingt vorhanden. Aber was soll's? Dasselbe gilt auch für die Sterne.«
»Wie das?« fragte Cooper.
»Das
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