Der Knochenmann
Und es ist einfach wahr, auch wenn man es nicht gern hören will: Jeder zweite junge Mensch verschwindet da herunten mehr oder weniger über Nacht. Hinaus in die große weite Welt, als Kellner nach Tirol, oder Baumontage in Linz.
Saudi-Arabien schon weniger, da hast du zwar die Zulagen, aber mußt dich die gewissen Jahre verpflichten. Denen geht nichts ab da unten. Weiber, alles da, und daheim kriegst du das Geld auf die Bank. Möchte man meinen, der kommt nach ein paar Jahren heim und ist ein gemachter Mann. Aber wenn du dann heimkommst, bist du schon mehr das Saudiarabische gewöhnt, oft einmal, daß sich einer nicht mehr hineinfindet in das normale Leben.
In Straden weiß ich so einen Fall, der hat dann den Nachbarbuben geschnackselt, ein siebzehnjähriger Bub ist das erst gewesen. Sie haben ihn erwischt, der Bub ist dann nach Graz gegangen, weiß ich nicht, was aus ihm geworden ist, aber das ist zwanzig Jahre her. Den Stradener Saudi-Arabien-Monteur haben sie ein paar Tage später tot in der Werkstatt gefunden. Natürlich Gerüchte. Nur zum Erklären, daß es ein Problem sein kann, wenn du zu weit weggehst von daheim.
In den Speisesaal ist jetzt langsam wieder eine Unruhe gekommen. Die Enttäuschung hat sich ausgebreitet, daß überhaupt nichts Neues in
XY
gekommen ist, nichts, aber schon rein gar nichts, was sie nicht schon längst gewußt haben.
Und jetzt ist der Nidetzky auch noch mit dem Horvath dahergekommen, und der hat den Klöchern schon überhaupt gestohlen bleiben können.
«In diesem Zusammenhang interessiert sich die Grazer Kriminalpolizei auch für das Verschwinden des Mannes, den Sie hier im Bild sehen. Es ist der renommierte Künstler Gottfried Horvath. Nachdem er es im In- und Ausland zu beträchtlichem Ruhm gebracht hatte, war er vor einigen Jahren in sein Heimatdorf in der Oststeiermark zurückgekehrt. In seinem Gefolge ließen sich im Lauf der Zeit noch einige andere Künstler auf den für die Bewirtschaftung unrentabel gewordenen Bauernhöfen der Gegend nieder. So beheimatet die Oststeiermark heute eine nicht unbedeutende Künstlerkolonie. Vor knapp einem Jahr verschwand nun Gottfried Horvath spurlos. Bis heute gibt es keinerlei Lebenszeichen von ihm.»
Wie dann der Nidetzky wieder zum Eduard Zimmermann gegeben hat, hat der alte Löschenkohl den Fernseher ausgeschaltet. Die Kellnerinnen haben es jetzt noch schwerer gehabt als vor der Sendung. Die einen haben zahlen wollen, die anderen haben dringend ein Bier gebraucht, und wer gezahlt hat, bricht auf und steht dir im Weg herum.
Überall ist fest diskutiert worden, und der Brenner natürlich die Ohren gespitzt. Weil wenn du heute ein Detektiv sein willst, mußt du dir natürlich alles anhören, und wenn es der größte Blödsinn ist. Und gerade der Blödsinn hat es oft in sich. Aber natürlich ein Problem, wenn die Leute nicht mehr ihren eigenen Blödsinn reden, sondern nur mehr den aus der Zeitung nachbeten.
Jetzt sind sich die Klöcher alle mehr oder weniger einig gewesen, daß die Knochen von unten heraufkommen, sprich Jugoslawien, also Ex. Eine Schlepperbande wahrscheinlich. Sind ihnen die Flüchtlinge im Kofferraum erstickt, müssen sie sie irgendwo abladen, horch zu, so muß es gewesen sein.
Der Jacky hat den Grazer Geschäftsmann ins Spiel gebracht, der vor einiger Zeit, wie unten noch Krieg gewesen ist, hier beim Löschenkohl aufgetaucht ist und sich immer mit jungen Männern getroffen hat. Weil der hat junge Österreicher und Deutsche, denen es daheim zu langweilig war, als Söldner für die Jugos angeworben.
Aber wie der Löschenkohl die Bemerkung vom Jacky gehört hat, ist er dazwischengefahren: «Mit dem bin ich abgeflogen, daß es nur so gestaubt hat. Am Anfang habe ich ja nicht wissen können, was für Geschäfte der bei mir im Haus macht.»
Dem Brenner ist aufgefallen, daß der alte Löschenkohl immer finsterer geschaut hat, je mehr sich seine Gäste in den Schauergeschichten vom Krieg nur ein paar Kilometer weiter unten gesuhlt haben. Und es hat ihn nicht gewundert, weil der Jacky hat dem Brenner schon am ersten Tag erzählt, daß die Jugoslawen dem alten Löschenkohl vor 50 Jahren die Eier weggeschossen haben. Und da kann es ihn nicht gefreut haben, daß er durch den neuen Krieg immer wieder daran erinnert wird, noch dazu in der eigenen Hendlstation, die er in Jahrzehnten wie eine Festung gegen die fürchterliche Vergangenheit aufgebaut hat.
«Aber das mit der Lebensmittelpolizei hast du dem Zimmermann nicht
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