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Der Knochenmann

Der Knochenmann

Titel: Der Knochenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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den drei Trainingsbällen über den Zaun in den Bach geschossen haben, ist dem Trainer endgültig der Kragen geplatzt. Er hat jetzt so einen Tobsuchtsanfall bekommen, daß sich die Hälfte der Spieler innerlich wieder einmal einen anderen Verein gesucht hat.
    Und das ist der Moment gewesen, wo wieder jeder gewußt hat, wer der wichtigste Mann beim FC Klöch ist. Weil das war der Moment, wo der Zeugwart Schorsch auf das Spielfeld gelaufen ist. In der linken Hand hat er sein Handy gehalten, aber mit der rechten Hand hat er etwas noch viel Wichtigeres getragen.
    «Ist ja nicht so schlimm, die zwei verschossenen Bälle», ruft er in die erste Schweigesekunde nach dem Donnerwetter hinein.
    Und wirklich, in dem prall gefüllten Jutesack, den er über der rechten Schulter getragen hat, sind genau dreißig Bälle gewesen, weil heute sogar der große Sack dran war, der fast größer als der ganze Zeugwart gewesen ist.
    Jetzt darfst du nicht vergessen, was so ein Sack, der prall mit Bällen gefüllt ist, für einen Fußballer bedeutet. Weil als Fußballer hast du eine Beziehung zum Ball. Da hat es früher die braunen Lederbälle gegeben, und dann die schwarzweißen Lederbälle, und dann die bunten Lederbälle, und dann die ganz weißen Bälle mit einer Kunststoffschicht drüber. Die Bälle haben sich verändert, aber eines hat sich nie verändert.
    Wenn beim Training eine Krise ausgebrochen ist, dann ist der Zeugwart Schorsch mit seinem Ballsack auf das Feld gelaufen. Weil er hat gewußt, wenn die Spieler den Ballsack sehen, dann spüren sie es schon richtig, wie er gleich die Bälle auf den Rasen donnern läßt. Das mußt du dir vorstellen wie einen grollenden Wasserfall aus Lederbällen. Und in dem Moment, wo die Spieler diesen Wasserfall spüren, ist die Stimmung gerettet.
    Jetzt hat sich der Zeugwart Schorsch natürlich gewundert, daß er mit seinem großen Ballsack zu den Spielern hinläuft und trotzdem die Mienen von den Spielern immer finsterer werden.
    «Ist doch nicht so schlimm, die zwei Bälle im Bach», hat der Zeugwart noch einmal aufmunternd gerufen, und er hat den Spielern ein bißchen den Rücken zugedreht, damit sie den prall gefüllten Ballsack besser sehen.
    Aber je besser die Spieler den Ballsack gesehen haben, um so blasser sind die geworden. Und keiner von ihnen hat ein Wort gesagt. Auch der Trainer hat jetzt eine Ruhe gegeben, und immerhin, das hat der Zeugwart ein bißchen als seinen Erfolg gesehen. Daß der nicht, wie es oft bei einem Donnerwetter ist, noch ein zweites Mal über die Spieler herfällt. Aber trotzdem, bei den Spielern hat sein Trick dieses Mal nicht richtig funktioniert, das hat er nicht übersehen können.
    «Was ist los heute?» ruft er und schwenkt wie der Nikolaus den Ballsack auf seinem Rücken.
    «Der Sack», sagt der Udo Sommerer. Der ist erst letzte Saison von der Jugend in die Kampfmannschaft nachgerückt, und ich weiß auch nicht, wieso ausgerechnet der Udo als erstes wieder die Sprache gefunden hat.
    «Was ist mit dem Sack?» sagt der Schorsch und steckt kurz das Handy unter den Bund von seiner Sporthose, weil er die zweite Hand zum Sackaufbinden braucht.
    «Der Sack!» schreien jetzt noch zwei, drei andere, weil es der Zeugwart immer noch nicht sieht.
    «Was soll mit dem Sack sein?» schreit der Zeugwart. Er hat es nicht sehen können, weil hinten hat der Mensch keine Augen.
    Aber jetzt hat er es auf einmal feucht auf seiner nackten Wade gespürt. Weil über Nacht im kalten Ballkeller hat der einunddreißigste Ball nur einen unscheinbaren Fleck in den Ballsack gemacht. Aber wie ihn der Zeugwart durch die Nachmittagshitze getragen hat, hat er wieder ein bißchen zu bluten angefangen. Und wie der Zeugwart bei den Spielern im Strafraum angekommen ist, hat sich schon die Kopfform ein bißchen im Jutesack abgezeichnet. Also ich möchte jetzt nicht den Jutesack vom Schorsch mit dem Grabtuch vergleichen, das sie da in Turin unten gefunden haben. Aber ein bißchen so mußt du es dir vorstellen, wie sich die Nase und die Augenhöhlen immer deutlicher abgedruckt haben. Und wie jetzt der einunddreißigste Ball auf die nackte Wade vom Zeugwart hinuntergetropft ist, hat er es endlich auch bemerkt.
    Und da siehst du wieder einmal, wie wichtig es ist, daß ein Zeugwart immer ein Handy hat. Weil eine Viertelstunde später ist die Radkersburger Gendarmerie schon am Fußballplatz gestanden. Und nicht einmal eine Stunde hat es gedauert, da ist auch die Grazer Kripo schon dagewesen.
    Aber die

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