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Der Knochenmann

Der Knochenmann

Titel: Der Knochenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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Welt. Und du darfst eines nicht vergessen: Der Brenner ist aus Puntigam gewesen, praktisch ein Vorort von Graz, wo das Bier herkommt. Puntigamer. Möchte man glauben, daß es ihn zurückversetzt, also Erinnerungen und alles. Weil er ist ja seit dem Begräbnis von seinem Vater nicht mehr in Graz gewesen, und das ist jetzt auch schon wieder, ja unglaublich: sechs Jahre her gewesen.
    Aber nein, nichts Sentimentalität, daß man sagt: hier ein Kindheitserlebnis, oder dort das Kino, da habe ich zum ersten Mal mit einem Mädchen, und da drüben bin ich einmal mit dem Moped gestürzt. Weil der Brenner hat ein auffrisiertes Moped gehabt. Wie er sich dann bei der Polizei beworben hat, hätten sie ihn fast nicht genommen, weil so viele Anzeigen aufgeschienen sind.
    Dann neunzehn Jahre Polizei und praktisch nie in Graz. Weil er hat sich ein paarmal versetzen lassen, in der ersten Zeit, wie sein Motto noch gewesen ist: Jetzt bin ich jung, und ich möchte was von der Welt sehen. Eisenstadt, Salzburg, Linz, Landeck, Attnang, überall ist er gewesen, nur nicht in Graz.
    Und jetzt auf einmal wieder in Graz, wäre eine gewisse sentimentale Anwandlung verständlich. Daß man sich denkt, so jung bin ich gewesen, und solche Hoffnungen habe ich gehabt, und jetzt werde ich bald den Holzpyjama anhaben. Weil das ist immer ihr Ausdruck bei der Kripo gewesen. Aber da müßte man einmal einen Psychologen fragen, und da wäre ich jetzt neugierig, ob das nicht auch eine Bedeutung hat, wenn heute einer immer zum Sarg «Holzpyjama» sagt.
    Und gerade solche Männer neigen ja dann andererseits wieder zum Sentimentalen. Aber der Brenner jetzt alles andere als sentimental. Der ist nur froh gewesen, daß er die Grillhendlstation und dieses Klöch hinter sich hat. Und Graz mit seinen 300 000 Einwohnern, da hat der Brenner so aufgeatmet, da atmest du in Manhattan nicht leicht so auf.
    Jetzt, warum sage ich «Manhattan». Du darfst nicht vergessen, daß der Brenner diese unmögliche Gewohnheit mit dem Pfeifen gehabt hat. Und wenn er als Kind in Puntigam in der Schreinerwerkstatt vom Großvater herumgelungert ist, dann ist die ganze Zeit das Wunschkonzert von Ö-Regional im Radio gelaufen. Aber ich möchte mich gar nicht für den musikalischen Geschmack vom Brenner entschuldigen. Und das muß erst die Zukunft weisen, ob das, was heute aus dem Radio kommt, um so viel besser ist als «Die Rittersleut», die der Brenner jetzt gedankenlos vor sich hin gepfiffen hat.
    So, jetzt ist es heraußen. «Die Rittersleut», natürlich schon tiefstes Bierzelt, das muß man zugeben. Aber du darfst nicht vergessen, daß der Brenner nur eine einzige Strophe von dem Lied gekannt hat, hör zu:
    «Und dem Ritter von Manhattan
    habn’s beim Kampf den Schwanz abtretn.»
    Daran hast du merken können, wie ihn in Klöch alles schon bedrückt hat, die Hendlstation, das Personalzimmer, die Knochenmehlmaschine. Und daß statt der Wirtin der Ortovic-Kopf aufgetaucht ist. Und er hat auf einmal gespürt, das soll jetzt nicht irgendwie ding klingen, daß man ihm praktisch die Lebensader abgedrückt hat. Also wenn du dir einen Gartenschlauch vorstellst, da steigt jemand hinauf, jetzt kommt kein Wasser mehr durch. Und erst in Graz ist der schwere Schuh endlich wieder heruntergestiegen.
    Jetzt ist er zwischen Tausenden Einkäufern durch die Fußgängerzone gegangen und hat «Die Rittersleut» gepfiffen. Und doch ist das mit dem Aufarbeiten nur die halbe Wahrheit. Weil er hat sich jetzt wirklich ein bißchen gefühlt wie in Manhattan, das Gewurl in der Fußgängerzone hat ihm so richtig getaugt, die unzähligen Geschäftsschilder hat er gelesen, und daß die Leute unbedingt schon am ersten Samstag im Monat ihr ganzes Geld auf den Kopf hauen müssen, ist ihm momentan ganz richtig vorgekommen. Obwohl der Brenner sonst ja ein ziemlicher Sparmeister gewesen ist, und seine Schuhe hat er oft getragen, bis die Zehen herausgekommen sind.
    Das ist ihm aber jetzt vielleicht nur eingefallen, weil er vor dem Schuhgeschäft angekommen ist, das er gesucht hat. Es hat der Schwester von der verschwundenen Löschenkohl-Wirtin gehört, und wie der Brenner in die Auslage schaut, pfeift er nicht nur, da singt er sogar leise vor sich hin:
    «Und dem Ritter von Manhattan
    habn’s beim Kampf den Schwanz abtretn.»
    Vielleicht ist es auch der Frühling gewesen. Daß er gestern im
Borderline
ein bißchen auf den Geschmack gekommen ist. Daß er deshalb dieses Lied singt. Ich bin kein Psychologe, ich weiß es

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