Der Knochenmann
er sich noch einmal auf die Frau einstellen. Und außerdem ist sie eh ganz nett, hat er sich jetzt wieder gedacht. Und außerdem geh ich eh gern ein paar Stunden spazieren. Schönes Wetter, schöne Stadt – auf einmal hat er das Leben wieder in einem ganz anderen Licht gesehen. Nur weil ihn die Frau angelächelt hat. So ist der Mensch, lächerlich.
Wie er um fünf vor sechs zum Schuhgeschäft zurückkommt, ist die Tür schon zu. Und wie ihm gerade einfällt, daß am langen Samstag die Geschäfte ja schon um fünf zusperren, spricht ihn eine schwarzhaarige Frau an: «Ich habe mir noch schnell die Haare entfärben lassen.»
Siehst du, rote Haare, schwarze Augen, das gibt es nicht, das hätte dem Brenner auch gleich einfallen können.
«Hat der Friseur eine Überstunde gemacht?»
Weil Überraschung lasse ich mir jetzt keine anmerken, hat sich der Brenner gedacht. Aber der falsche Zeitpunkt für Spielereien, und die Schuhverkäuferin ist jetzt ohne lange Umschweife zur Sache gekommen.
«Wie lange ist denn meine Schwester schon verschwunden?»
«Eineinhalb Wochen.»
«Und da holt der gleich einen Detektiv?«
«Eigentlich hat Ihre Schwester mich engagiert.»
«Aha.»
Aha. Das hätte sich der Brenner auch nie träumen lassen, daß er einmal von einer Boutique-Inhaberin eine Gänsehaut bekommt. Aber du mußt wissen, er hat als Kind nichts lieber angeschaut als die Winnetou-Filme. Und mit den schwarzen Haaren hat die Schuhverkäuferin der Schwester vom Winnetou so ähnlich gesehen – wenn er nicht sicher gewesen wäre, daß die Nscho-tschi in den Armen vom Winnetou gestorben ist, hätte er geglaubt, sie steht leibhaftig vor ihm.
«Ihre Schwester hat mich vor einer Woche angerufen. Ich soll mich um die Sache mit den Knochen kümmern. Aber wie ich nach Klöch gekommen bin, ist sie nicht dagewesen.»
«Mich wundert nur, daß sie dort nicht schon längst abgehaut ist.»
«Sie ist ja nicht das erste Mal weg», sagt der Brenner.
«Aber früher habe ich es immer gewußt.»
«Ist sie dann zu Ihnen gekommen?»
«Spätestens nach einer Woche ist sie wieder zurück. Ins Hühnerparadies.»
«Sie halten wohl nicht besonders viel vom Mann Ihrer Schwester.»
«Was für ein Mann?»
Aha. Die Arroganz von dieser schuhverkaufenden Nscho-tschi hat den Brenner entwaffnet. Und ist natürlich nie gut, wenn sich ein Detektiv heute so leicht entwaffnen läßt.
«Sind Sie eigentlich Zwillingsschwestern?»
«Ich bin fünf Jahre jünger.»
Jetzt Gott sei Dank eine gute Ausrede: «Die Fotos von Ihrer Schwester sind wahrscheinlich schon älter.»
Aber die Nscho-tschi hat nur diesen Blick aufgesetzt, quasi: Glaubst du, ich habe ein Kompliment nötig? «Die Fotos sind gut. So sieht sie aus. Auf Fotos sehen wir uns immer sehr ähnlich. Aber in Wirklichkeit gar nicht. Ich weiß auch nicht, wie so was geht.»
«Die Art.»
«Ja, wahrscheinlich. Die Art.»
Muß eine nette Art haben, die ältere Schwester, hat sich der Brenner gedacht.
«Wieso ist Ihre Schwester denn immer wieder weg aus Klöch?»
«Ich hab mich nur immer gefragt, wieso sie zurück ist.»
«Vielleicht aus Liebe.»
«Oder aus Mitleid.»
«Mit wem?»
«Was weiß ich. Mit den Hühnern wahrscheinlich.»
«Oder mit dem Alten?» hat der Brenner gefragt, und er hat sich gewundert, daß sie auf einmal ganz ernst antwortet:
«Kann schon sein. Der Alte hat meiner Schwester leid getan mit seiner blöden Kriegsverletzung. Und mit seinen irren Ersatzhandlungen.»
«Was für Ersatzhandlungen?»
«Finden Sie es vielleicht normal, wenn einer jeden Tag tausend Hühner grillt? Und dann noch jedes Jahr einen Saal dazubauen muß, weil es ihm noch nicht reicht? An den Ersatzhandlungen sieht man es ja noch viel deutlicher, wie pervers die Männer sind.»
Zurück zum Thema, hat sich der Brenner gesagt: «Und Sie haben gar keine Ahnung, wo Ihre Schwester sein könnte?»
«Wenn mir noch was einfällt, kann ich Sie ja anrufen. Wo sind Sie denn zu erreichen?»
«Klöch. Personaltrakt.»
«Aha. Na, gute Nacht.»
Na, gute Nacht. Wie der Brenner wieder allein gewesen ist, ist ihm erst aufgefallen, wie ausgestorben die Fußgängerzone jetzt war. Je öfter er die Straße auf und ab gegangen ist, um so klarer ist ihm geworden, daß er in Wirklichkeit immer noch keinen einzigen Schritt weitergekommen ist.
«Und dem Ritter von Manhattan
habn’s beim Kampf den Schwanz abtretn.»
Jetzt ist er richtig froh gewesen, daß er an diesem Abend in Graz noch was vorgehabt hat. Obwohl er sich
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