Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Knochenmann

Der Knochenmann

Titel: Der Knochenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
Vom Netzwerk:
lassen.
    «Der Horvath hat einen Geschmackssinn gehabt, den kann ich höchstens mit dem absoluten Gehör vergleichen. Da hättest du etwas mit 25 Kräutern würzen können, und er hätte dir nach dem ersten Bissen alle 25 aufgezählt. Und gekocht hat er nicht wie ein Koch, sondern wie ein Alchimist in seinem Labor.»
    «So ein Blödsinn.»
    Scheiße, das ist dem Brenner herausgerutscht. Er hat es einfach noch nie ausgehalten, wie die besseren Leute über das Kochen reden. Dieses ganze neureiche Getue, wie sie den Wein zuerst mit einem Fieberthermometer untersuchen, bevor sie ihn trinken. Vielleicht ist er nur so empfindlich gewesen, weil es ihn immer an die Diplomdolmetscherin erinnert hat, die ihn einmal nach Florenz geschleppt hat, und nach zwei Tagen haben sie sich so zerstritten, daß sie getrennt heimgefahren sind.
    Aber den Palfinger hat es überhaupt nicht gestört, daß dem Brenner das herausgerutscht ist.
    «Ein Blödsinn», hat er genickt, «so muß es dem Horvath auch vorgekommen sein. Er hat ja an dieser Freßsucht gelitten. Fressen, kotzen, fressen, kotzen, fressen, kotzen.»
    «Das haben doch normal nur Frauen.»
    Der Brenner hat sich bemüht, es so nebenbei wie möglich zu sagen. Vielleicht zu nebenbei. Weil der Palfinger hat nichts darauf geantwortet.
    Vielleicht hat er es nicht richtig gehört. Oder hat er es nicht hören wollen. Oder hat er es wirklich nicht gewußt, daß der Horvath seit fast einem Jahr als Kellnerin in der Grillstation Löschenkohl gearbeitet hat und Nacht für Nacht sein eigener Liebhaber gewesen ist.
     

10
    Jetzt aber schnell. Der Brenner ist mit dem Mittags-Postauto zurückgefahren, und irgendwie hat er es geschafft, daß er den Autobus nicht bis zum Gepäcknetz hinauf vollgekotzt hat. Nicht wegen der Klachlsuppe, sondern wegen dieser Kleinigkeit, die ihm der Palfinger erzählt hat.
    Weil mit seiner wütenden Reaktion auf die Anekdote vom feinen Geschmackssinn des Horvath hat der Brenner sich ja nur ein paar Sekunden lang um die Wahrheit drücken können. Und dann ist es ihm doch gedämmert. Und dann hat er sich doch fragen müssen, wieso die Kellnerin monatelang nur Würstel gegessen und die panierten Spezialitäten gemieden hat wie die Pest. Und dann hat er diese Beobachtung doch mit der Frage in Verbindung bringen müssen, wo eigentlich das Fleisch von den Menschenknochen beim Löschenkohl hingekommen ist.
    Und bei der Vorstellung, daß er selber eines von den panierten Fleischstücken erwischt haben könnte, hat es den Brenner so gereckt, daß ihm die halbstündige Autobusfahrt ungefähr so lang vorgekommen ist wie sein bisheriges Leben.
    Wie er in Klöch angekommen ist, ist beim Löschenkohl gerade Hochbetrieb gewesen. Also zuerst in den Keller hinunter zur Mutter vom Jacky, die gerade den Gang aufgewischt hat.
    «Wo ist eigentlich der Jacky?»
    Sonst war die Klofrau immer so fröhlich, daß der Brenner sich schon einmal gedacht hat: Siehst du, das ist gut gegen depressive Stimmungen, wenn du dich mit dem Negativen beschäftigen mußt. Quasi Philosophie: der eine interessiert sich nur für Mode und Schnickschnack, aber heimlich ist er depressiv, aber die Klofrau, die alles wegputzen muß, die ist ein Sonnenschein.
    Aber heute nichts Sonnenschein, sondern verheulte Augen und ganz eine zittrige Stimme: «Weg.»
    Der Brenner hat gewartet, aber das ist schon ihre ganze Antwort gewesen.
    «Was ist denn passiert?»
    Die Klofrau hat kein Wort herausgebracht.
    Und jetzt, ich kann es mir nicht anders erklären, muß sie sich auf einmal geschämt haben. Weil sie hat sich umgedreht und ist in der Damentoilette verschwunden.
    Natürlich eine blöde Situation für den Brenner. Einerseits: Soll ich ihr nachgehen, andererseits: Du gehst heute als Mann nicht so ohne weiteres in die Damentoilette hinein. Aber wie die Klofrau auch nach ein paar Minuten noch nicht herausgekommen ist und weil auch gerade keine Leute herumgewesen sind, ist der Brenner zum zweiten Mal in seinem Leben in eine Damentoilette hineingegangen.
    Weil in Lofer hat er einmal eine Selbstmörderin aus dem Damenklo vom Cafe Moser klauben müssen. Er hat sich noch erinnert, daß die Küche direkt neben dem WC gewesen ist und daß er die ganze Zeit das Radio vom Koch herüber gehört hat. Und in dem Moment, wie er den Ausweis von der Selbstmörderin aus ihrer Geldtasche gezogen hat, hat der Udo Jürgens in der Küche «Siebzehn Jahr, blondes Haar» gesungen. Und ob du es glaubst oder nicht: Die Tote auch siebzehn Jahr,

Weitere Kostenlose Bücher