Der Knochenmann
doppelt gelten.
«Aber dann bin ich mit meinem Hunger vor der verschlossenen Marko-Tür gestanden. Ich habe beim Neuhold angerufen, aber der hat sich auch schon gewundert, daß der Marko nicht aufgetaucht ist. Weil das Auto vom Marko ist in Klöch geparkt, aber von ihm keine Spur.»
«Wird schon wieder auftauchen», hat der Brenner gesagt, weil es ist ihm momentan ein bißchen zuviel geworden, wie schnell die Leute da herunten verschwinden.
«Jaja. Aber komm doch herein. Ich bin gerade beim Kochen.»
«Du kochst jetzt schon?»
«Ich tu nur mehr kochen.»
«Kochen und malen?»
«Malen weniger. Aber kochen.»
«Was kochst du denn Gutes?»
Der Brenner hat gestaunt, wie sauber und aufgeräumt die Küche vom Palfinger gewesen ist.
«Heute koche ich eine Klachlsuppe. Magst du die?»
«Ich bin nicht heikel.»
«Das darf man auch nicht sein bei einer Klachlsuppe», lacht der Maler und holt zwei große Knochen aus einem Topf.
«Und das sind die Knochen dazu?»
«Schweinsknochen. Nicht von einem Menschen. Die Menschenknochen sind nichts wert.»
«Für eine Suppe nicht.»
«Für eine Suppe nicht und sonst auch nicht. Ich kenne einen, der hat sich die Knochen dreiundzwanzigmal gebrochen.»
«Autounfall?»
«Lauter Kleinigkeiten. Er fällt aus dem Bett, Rippe ab. Er tritt mit dem Fuß falsch auf, Knöchel hin. Er rutscht in der Badewanne aus –»
«Badewanne ist gefährlich.»
«Ja – Schädelbasisbruch.»
«Das ist unpraktisch. Frisch geduscht, rinnt ihm schon wieder das Blut aus den Ohren heraus.»
Jetzt hättest du den Palfinger sehen sollen. Dem ist auch das Blut herausgeronnen. Nicht aus den Ohren, sondern aus dem Gesicht, das weiß wie die Wand geworden ist.
So ein Künstler ist schon ein schwieriger Mensch, hat sich der Brenner gedacht: einerseits ein Grobian bis dorthinaus, dann wieder sensibel bis dorthinaus. Und im nächsten Moment hat der Brenner erst begriffen, wieso der Palfinger auf einmal so empfindlich reagiert hat. Daß der selber der Mann mit den kaputten Knochen gewesen ist. Der Mann mit dem Schädelbasisbruch. Und ehrlich gesagt, überhaupt kein Wunder bei dem seinem Übergewicht.
«So was kann auch nur einem Künstler einfallen, daß er von sich selber in der dritten Person redet.»
Der Palfinger hat darauf nichts geantwortet. Er hat eine Zeitlang überhaupt nichts gesagt, sondern bedächtig mit seiner Klachlsuppe hantiert, bis er langsam wieder ein bißchen Farbe bekommen hat.
«Wahrscheinlich hast du zu wenig Kalk in den Knochen», sagt der Brenner.
«Glaubst du, daß man deshalb in der Badewanne umfällt?»
«Aber gleich einen Schädelbasisbruch?»
«Schädelbasisbruch ist nicht das schlimmste.»
«Und was ist das schlimmste?»
Der Palfinger hat nicht geantwortet, sondern gesagt: «Die angeblutete Badewanne habe ich ausgebaut und ausgestellt.»
«Und wie hast du das Werk genannt?»
«Schädelzertrümmerung.»
«Da hast du aber übertrieben.»
«Ich übertreibe immer alles. Ich fahre so schnell mit dem Fahrrad, daß ich einen Salto hinlege.»
«Und hast du das Fahrrad ausgestellt?»
«Rede keinen Blödsinn, wovon du nichts verstehst», sagt der Maler auf einmal wieder so gereizt, wie er im
Borderline
die ganze Zeit gewesen ist. Weil der hätte das Fahrrad nie ausgestellt, aber erklär das einmal dem Brenner, wieso er die Badewanne ausstellt, aber das Fahrrad reparieren läßt.
Der Maler hat dem Brenner jetzt aber ganz etwas anderes erklären wollen.
«Ich kann mich nicht richtig bewegen. Einmal hinke ich mit dem linken Bein, einmal mit dem rechten. Weil ich keinen Rhythmus habe. Ich hau mir jeden Tag mindestens einmal den Kopf an. Verstehst du?»
«Was gibt es da zu verstehen?»
«Deshalb koche ich so gern. Weil beim Kochen werde ich so ruhig. Ich verbrenne mich nie beim Kochen. Ich werfe nichts hinunter. Und ich habe mir noch nie beim Kochen den Kopf angehaut.»
«Obwohl alles herumhängt bei dir über dem Herd.»
«Mein Körper wird ganz warm beim Kochen. Meine Gedanken werden ruhig. Und manchmal bin ich so eins mit dem Kochen, daß ich mir wünsche, daß ich selber mitgekocht werde.»
«Jetzt übertreibst du aber wieder.»
Dem Brenner ist gleich vorgekommen, daß der Palfinger das nicht mehr gehört hat. Und wirklich hat er dann eine Viertelstunde lang kein Wort mehr geredet, überhaupt so getan, als wäre der Brenner gar nicht da. Also das ist ein Gegensatz gewesen, vor ein paar Tagen im
Borderline
der reinste Berserker und jetzt beim Kochen so still und
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