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Der Knochenmann

Der Knochenmann

Titel: Der Knochenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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Hoffnung hat er auf dem Weg zum Speisesaal insgeheim noch gehabt: Wenn schon alle der Reihe nach verschwinden, vielleicht ist ja die Kellnerin inzwischen auch schon verschwunden, und ich komme drum herum.
    Aber natürlich, die Kellnerin ist da wie immer. Abgesehen davon, daß sie mit einem Schnaps dagesessen ist. Ganz allein mitten am Nachmittag. Und der Brenner hat überhaupt noch nie gesehen, daß sie was anderes trinkt als ihren Kaffee.
    «Einen Schnaps könnte ich jetzt auch brauchen», sagt er und setzt sich zu ihr an den Tisch.
    «Recht hast du», sagt die Kellnerin, kippt den restlichen Schnaps hinunter und geht zur Schank hinüber. Sie hätte nicht so torkeln müssen, der Brenner hat es schon an ihrem Zungenschlag erkannt, daß es nicht ihr erster Schnaps gewesen ist. Aber eine tüchtige Kellnerin bleibt eine tüchtige Kellnerin, und nach ein paar Sekunden ist sie schon wieder mit der Bestellung vom Brenner dagewesen.
    Nur daß sie nicht einen Schnaps gebracht hat, auch nicht zwei, sondern gleich die ganze Flasche.
    «Das ist der Selbstgebrannte. Nur fürs Personal.»
    «Bin ich jetzt schon Personal?»
    «Du schläfst im Personaltrakt.»
    «Ja, wenn du es so siehst.»
    «Wer im Personaltrakt schläft, ist Personal, so ist es einmal. Und wer nicht im Personaltrakt schläft, kriegt keinen Selbstgebrannten.»
    «Brennt den der Löschenkohl selber?»
    «Der Löschenkohl? Der brennt höchstens einen Schas!»
    Jetzt aber. Da hätte es keinen Detektiv gebraucht, um zu merken, daß die Kellnerin ein Problem hat. Da hätte einer wie du oder ich auch sofort Bescheid gewußt. Weil ordinär hat die Kellnerin überhaupt noch nie jemand erlebt, im Gegenteil, eine angenehme Frau. Tüchtige Kellnerin, angenehme Frau. Und jetzt so was.
    «Das ist der Selbstgebrannte vom Klaushofer.»
    Der Brenner hat nichts darauf gesagt, er hat einfach einmal einen Schluck genommen von dem Schnaps, den ihm die Kellnerin eingeschenkt hat. Und ich will dich jetzt nicht erschrecken, er hat dann schon noch eine Speiseröhre gehabt. Aber einen Moment lang hat der Brenner geglaubt: aus und vorbei – nur mehr intravenös.
    «83 Prozent», lacht die Kellnerin, wie sie den Brenner aufhüpfen sieht.
    «Was?»
    «83 Prozent hat der Obstler vom Klaushofer.»
    «Für den brauchst du ja einen Waffenschein.»
    «Aber der tut dir nichts», sagt die Kellnerin. «Weil das ist so ein reiner Schnaps, nur Äpfel drinnen.»
    «Die Äpfel tun mir nichts. Aber die Prozent tun mir was.»
    «Aber wo! Der tut dir gar nichts», sagt die Kellnerin und schenkt die beiden Schnapsgläser schon wieder voll.
    «Ich kann’s eh brauchen», sagt der Brenner und greift schon wieder zum frisch gefüllten Schnapsglas.
    «Der tut dir überhaupt nichts.»
    Und hinunter mit dem zweiten Schnaps. Aber interessant, der zweite hat schon viel weniger gebrannt als der erste. Und natürlich der dritte: nur mehr Äpfel, und die tun dir überhaupt nichts.
    «Die Leute werden ganz unterschiedlich, wenn sie einen Rausch haben», sagt die Kellnerin.
    «Ganz unterschiedlich? Ganz anders meinst du», sagt der Brenner, weil der ist vom Alkohol immer ein bißchen rechthaberisch geworden.
    «Ja, sowieso anders. Aber unterschiedlich anders!»
    «Aha», sagt der Brenner, «unterschiedlich anders.»
    Er hat sich gedacht, jetzt habe ich genauso arrogant «aha» gesagt wie die Grazer Nscho-tschi.
    «Der eine wird lustig, und der andere wird aggressiv. Und der andere wird sentimental und zerdrückt ein paar Tränen.»
    «Und andere halten Vorträge», sagt der Brenner, weil er hat sich gedacht, was laß ich mir da von der falschen Hendl-Kellnerin einen Vortrag halten, statt sie endlich zur Rede zu stellen.
    Und ob es jetzt eine Telepathie gibt oder nicht, ich weiß es nicht, aber genau in dem Moment hat ihm die Kellnerin von selber etwas erzählt: «Vorher ist ein Anruf für dich gekommen.»
    «Von wem?»
    «Da ist die Nummer», sagt die Kellnerin und schiebt ihm einen Bierdeckel hin, auf dem sie die Nummer notiert hat.
    «Wer ist das?»
    «Hab ich vergessen. Kannst ja zurückrufen.»
    «Eine Wiener Nummer», sagt der Brenner.
    «Oje», sagt die Kellnerin.
    «Was heißt oje?»
    «Oje heißt Scheiße.»
    «Hast du was gegen die Wiener?»
    «Wieso soll ich was gegen die Frankfurter haben? Solange sie heiß sind! Debreziner auch gut. Ich habe überhaupt nichts gegen die Würstel.»
    «Außer gegen dein eigenes.»
    Siehst du, etwas Unangenehmes zögert man oft tagelang hinaus, bevor man es ausspricht. Und

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