Der Knochenmann
blondes Haar.
Wie jetzt der Brenner in das Damenklo vom Löschenkohl hinein ist, hat er die Klofrau nirgends gesehen. Aber natürlich fünfzehn Kabinen, wird sie schon irgendwo stecken.
«Frau Trummer!» ruft er, aber keine Antwort. «Frau Trummer, sagen Sie doch was!»
Aber die Frau Trummer sagt nichts. Keinen Mucks hat er von ihr gehört. Jetzt schaut der Brenner, ob eine von den Kabinen zugesperrt ist, weil das kennst du bestimmt bei den Gasthausklos, je nachdem, ob ein rotes oder ein weißes Feld beim Schloß zu sehen ist, weißt du sofort: besetzt oder frei. Eigentlich eine gute Erfindung, da hat sich einmal einer was einfallen lassen. Aber alle Kabinen frei, überall weißes Feld. Jetzt hat der Brenner der Reihe nach die Türen aufgemacht.
Wie er schon bei der vorletzten Tür ist, immer noch nirgends die Frau Trummer. Und dann bei der letzten Tür nicht nur keine Frau Trummer, sondern überhaupt kein Klo drinnen. Nur die leere Kabine. Und auch keine Fliesen an der Wand, sondern noch einmal eine Tür.
Der Brenner klopft an, und jetzt hört er das Schluchzen der Trummerin hinter der Tür. Da hat der Brenner immer noch geglaubt, die versteckt sich da in der Besenkammer, und hat die Tür langsam aufgemacht.
Aber dann hat er sich einmal gewundert. Weil was er da aufgemacht hat, das ist nicht die Tür von einer Besenkammer gewesen. Das ist die Wohnungstür von der Trummerin gewesen. Die hat nicht nur den ganzen Tag im Klo herunten gearbeitet. Die hat auch im Klo gewohnt. Sie ist dagesessen auf ihrem alten rostbraunen Diwan in dem 10-Quadratmeter-Loch, das nur ein bißchen Licht aus zwei Kellerfenstern bekommen hat.
Jetzt ist der Brenner momentan ein bißchen sprachlos gewesen, wie er die alte Trummerin sieht, die mit den Händen vorm Gesicht in ihrem Kellerloch sitzt.
Aber vielleicht soll man nicht einfach gedankenlos Loch zu der Wohnung von einem Menschen sagen. Und wenn es auch nur 10 Quadratmeter gewesen sind und am hellichten Tag fast finster, und der Geruch und die Geräusche vom Klo herein – für die Trummerin ist es doch ihre Wohnung gewesen. Und da braucht man nicht hergehen und herablassend Loch sagen, nur weil es der Zufall ein bißchen besser mit einem gemeint hat. Weil da gibt es Leute, die besitzen ganze Häuser, und von der Dachterrasse kannst du bis Afrika hinüberschauen. Und trotzdem haben sie ein Loch, und zwar im Kopf, das ist meine Meinung!
Die Trummerin hat sich ihre Wohnung so nett wie möglich eingerichtet: eine kleine Kredenz, beige, wie sie die armen Leute in den fünfziger Jahren gehabt haben, also heutzutage schon wieder todschick. Ein rostbrauner Seegras-Diwan, so was Gemütliches findest du ja heute gar nicht mehr. Ein Küchentisch mit einer blütenweißen Tischdecke und über der Tischdecke noch einmal eine durchsichtige Plastikfolie. Das ist dankbar, wenn du etwas ausschüttest, weil dann kannst du es wegwischen wie nichts, und die Tischdecke darunter bleibt picobello.
«Was ist denn passiert?» fragt der Brenner, aber die Trummerin schüttelt nur den Kopf.
Jetzt hat er sich einfach auf den weißen Küchenstuhl gesetzt und gewartet.
Und nach ein paar Minuten sagt die Trummerin: «Mein Bub ist verschwunden.»
«Wie lange ist er schon weg?»
«Eine Woche», sagt die Trummerin. «Das ist es aber nicht. Aber vor drei Tagen habe ich meinen sechzigsten Geburtstag gehabt. Er hat versprochen, daß er mit mir nach Graz fährt zum
Kaiser von China.
Und so was hat er nie vergessen. Schon als kleiner Bub immer seine Versprechen gehalten. Er hat gesagt, ich muß einmal chinesisch essen, weil ich noch nie chinesisch gegessen habe.» Die Trummerin hat ein großes Stofftaschentuch unter dem Diwanpolster herausgezogen. «Ich brauche kein chinesisches Essen. Und ich brauche kein Graz. Aber meinen Buben brauche ich, weil sonst habe ich nichts.»
Und dann hat sie sich geschneuzt, aber es ist umsonst gewesen, weil sie hat gleich wieder zu weinen angefangen.
Sonst hat der Brenner nicht mehr viel aus der Mutter vom Jacky herausgebracht. Und wie er auf ihrer alten Porzellan-Küchenuhr gesehen hat, daß es schon fast halb drei ist, hat er doch zur Kellnerin hinauf müssen. Weil um die Zeit sind keine Gäste mehr da, aber die Kellnerin noch nicht auf Zimmerstunde, das ist die beste Gelegenheit gewesen.
Und du kannst dich heute als Detektiv einfach nicht von Sympathien leiten lassen. Sicher, die Kellnerin ist ihm sympathisch gewesen. Mir auch sympathisch, das gebe ich ehrlich zu. Und eine
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