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Der Knochenmann

Der Knochenmann

Titel: Der Knochenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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Brenner dann auf der anderen Seite den Horvath gesehen hat, hat er doch noch seine Pistole genommen und auf einen Sprung im Nachbarzimmer vorbeigeschaut.
     

9
    Wie der Brenner am nächsten Morgen aufgewacht ist, hat er zuerst natürlich geglaubt: Traum. Weil wenn der Mensch etwas nicht wissen will, dann hofft er zuerst einmal, es ist nur ein Traum. Aber nein, es ist kein Traum gewesen, daß er im Zimmer der Kellnerin den Horvath gefunden hat.
    Jetzt ist der Brenner aber ganz ruhig geblieben und hat sich gedacht, ich lasse mir nichts anmerken. Zuerst brauche ich noch ein paar Informationen über den Horvath, bevor ich etwas unternehme.
    Er hat gewußt, daß der Sammler Marko und der Palfinger ihre Bauernhöfe in St. Martin haben, und er ist noch vor dem Frühstück zur Haltestelle hinunter und hat auf das 9-Uhr-Postauto nach St. Martin gewartet. Er ist eine Ewigkeit am Straßenrand gestanden, bis er endlich von weitem den Autobus gesehen hat. Wie das gelbe Postauto langsam durch die grünen Hügel heruntergeschlichen ist, also wunderbares Naturschauspiel, das muß ich schon sagen. Aber der Brenner natürlich mit seinen Gedanken ganz woanders.
    Auch von der Fahrt hat er nicht viel mitgekriegt, so hat ihn der Horvath beschäftigt. Dabei wäre es eine wunderbare Fahrt im fast leeren 9-Uhr-Postauto gewesen. Ich möchte bestimmt nicht irgendwie patriotisch reden, oder daß man sagt: die eigene Heimat ist immer das beste. Aber ich bin in meinem Leben auch ein bißchen herumgekommen, voriges Jahr Ägypten, günstiges Arrangement, und da kannst du dir beim Frühstücksbuffet so viel nehmen, wie du willst! Und die Pyramiden, natürlich schon umwerfender Anblick, da gibt es gar nichts.
    Aber im leeren Postauto durch die Steiermark, wie es der Brenner jetzt gemacht hat, das ist immer noch etwas vom Schönsten, was du auf dieser Welt erleben kannst: die Sonne, die Felder, die Weinhügel und die einstöckigen Spielzeug-Bauernhäuser, von denen jedes einzelne den Blumenschmuckwettbewerb gewinnen hätte können. Und da soll mir ja nicht wieder einer mit der Selbstmordstatistik daherkommen, weil Selbstmordstatistik gibt es schließlich überall, aber Blumenschmuckwettbewerb nicht überall.
    In St. Martin hat sich der Brenner den schönsten Bauernhof gesucht, und natürlich: auf dem Briefkasten ist Marko gestanden. Aber nach dem vierten Läuten hat sich immer noch kein Mensch gerührt. Jetzt: Soll ich noch ein fünftes Mal läuten, oder soll ich klopfen, oder soll ich schreien, oder soll ich es aufgeben.
    Noch bevor sich der Brenner entschieden hat, kommt aus dem Nachbarhof der Palfinger heraus. Der Brenner hätte ihn fast nicht erkannt. Zuerst hat er geglaubt, es liegt am Sonnenlicht, daß das heruntergekommene Schwein aus dem
Borderline
auf einmal so zivilisiert aussieht. Aber es ist nicht das Sonnenlicht gewesen, sondern der ganze Palfinger wie ausgetauscht. Höflich und ruhig, aber auch nicht so, als wollte er es verleugnen, daß er den Brenner aus dem Puff kennt. Weil da sind ja die Männer oft komisch, und am nächsten Tag wollen sie dich nicht mehr kennen.
    Aber der Palfinger hat da kein Problem gehabt, er kommt gleich zum Brenner herüber und sagt: «Der Marko ist verschwunden.»
    Dafür ist der Horvath wieder aufgetaucht, hat sich der gedacht. Aber natürlich: Lieber noch nicht verraten.
    «Für gestern hat er mich zum Abendessen eingeladen. Weil der Marko tut gern kochen», sagt der Palfinger.
    «Was hat er dir denn Gutes gekocht?»
    Jetzt hat der Brenner ihn auf einmal geduzt. Im
Borderline
per Sie, wo jeder andere per du wäre, und jetzt auf einmal per du. Da ist der Brenner schon auch manchmal ein bißchen eigen gewesen.
    «Nichts gekocht, weil er nicht dagewesen ist», sagt der Palfinger. «Er hat groß angekündigt, er kocht mir eine Blutwurst, weil in Klöch beim Neuhold haben sie eine Sau abgestochen, und der Marko hat mir versprochen, daß er das Blut mit herüber nimmt und eine frische Blutwurst macht.»
    «Gestern ist das gewesen?»
    «Zu Mittag ist er herübergekommen und hat einen ziemlichen Kater von der Vernissage gehabt. Und eine Blutwurst ist das beste gegen einen Kater. Er hat sich dann gleich auf den Weg zum Neuhold gemacht. Ich habe den ganzen Tag hart gearbeitet und mir einen richtigen Hunger aufgespart. Weil eine Blutwurst ist nur gut, wenn du einen richtigen Hunger hast.»
    «Und wenn sie heiß ist», sagt der Brenner, weil er hat sich gedacht, was für die Frankfurter gilt, muß für die Blutwurst

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