Der Knochenmönch
noch immer auf der Eisfläche herum. Sie liefen jetzt gemeinsam und hatten sich untergehakt. Ihre Stimmen klangen laut, und der einsame Läufer hörte, daß sie Schluß machen wollten. Jetzt war er der einzige auf der Fläche. Längst waren die Lichter verblaßt. Auch die Lampen hinter den Scheiben des Restaurants waren ausgeschaltet worden. Die Szenerie oberhalb der Sitze verschwamm in einer düstergrauen Schwärze. Driscoll drehte seine Runden.
Es war für ihn wieder einmal herrlich, und minutenlang konzentrierte er sich nur auf sich selbst und seinen Lauf. Er genoß ihn. Er jagte über die Bahn, nutzte jeden Winkel aus. Mit seinen Kufen schien er an der Eisfläche zu kleben, und vor seinen Lippen kondensierte der Atem in kleinen Wolken.
Der Stopp.
Rasant, wie es sich für ihn gehört. Diesmal zu rasant, denn er rutschte mit dem rechten Bein weg und fand sich plötzlich auf dem Eis hockend wieder.
Driscoll mußte lachen. Das war ihm in der letzten Zeit nur noch selten passiert. Gut, daß es keine Zeugen gab. Sein Gelächter hallte der Decke entgegen, während er seine Arme nach hinten drückte und die Hände auf die Eisfläche stemmte.
Er schaute dabei gegen die Reihen auf der Gegentribüne. Dort brannte ebenfalls kein Licht, die Sitze lagen im Dunkeln. Da sie selbst nicht aus einem hellen Material bestanden, waren sie von seiner Position aus kaum zu erkennen.
Sein Lachen ebbte ab. Im Hintergrund hörte er noch Stimmen. Sie verwehten, als das Pärchen den Komplex endgültig verlassen hatte.
Driscoll war allein. Es würde sein oder werden wie immer, denn nach gut einer Viertelstunde würde der Hausmeister an der Bande erscheinen und ihn darum bitten, die Halle zu verlassen.
Der Jesuit stand auf.
Mühsam, was allerdings mehr gespielt war, denn er fühlte sich trotz des Ausrutschers fit. Dann lief er wieder.
Langsamer, dennoch schwungvoll. Seine Arme ruderten mit. Wieder flatterten die Schöße, und wieder nahm er das Aussehen des großen, über die Eisfläche hinwegschwebenden Vogels an.
Dieses Eisstadion an der Clerkenwell Road war in der Tat zu seiner zweiten Heimat geworden. Er liebte die Atmosphäre der Einsamkeit, diese Minuten zwischen Tag und Traum, bis der Hausmeister erschien und mit beiden Händen abwinkte.
Einsamkeit.
Seinen Gedanken und sich selbst dabei freien Lauf lassen. Was konnte es Schöneres geben? War er wirklich so einsam?
Der Knall war scharf und peitschend. Er hörte ihn und zog unwillkürlich den Kopf ein.
Etwas wischte an seiner Stirn vorbei. Driscoll drehte sich zusammen, er fiel hin, rutschte dabei über die glatte Fläche und hörte erneut einen Knall.
In seiner Nähe schlug eine Kugel ein und wirbelte als Querschläger davon. Er sah eigentlich nur die Schramme im Eis, aber der Jesuit wußte plötzlich, daß die heiße Phase der Jagd auf ihn eröffnet worden war…
***
Er blieb sitzen!
Wie auf dem Präsentierteller. Es war ihm egal, ob ihm die dritte Kugel den Kopf zerschmetterte, er brauchte diesen Augenblick der Ruhe, um sich mit der Situation zurechtzufinden.
Der Schütze feuerte nicht.
Er ließ sich Zeit, und die Sekunden vergingen, als schwämmen sie in einer trägen Brühe.
Father Driscoll saß auf dem Eis und hatte sich dabei zur Seite gedreht, weil er unbedingt einen Blick auf die Gegentribüne werfen wollte, denn von dort hatte man auf ihn geschossen. Leider war es zu dunkel, um dort etwas erkennen zu können. Der Schütze hatte es einfach. Er brauchte sich nur zwischen die Sitze zu ducken, so sah man von ihm nichts.
Selbst wenn er stand, würde es fast unmöglich sein, ihn zu entdecken.
Die Stille blieb.
Kein fremdes Atmen, kein anderer Laut durchbrach sie. Weit im Hintergrund hörte der Jesuit summende Geräusche, und er dachte plötzlich daran, daß selbst die Schüsse nicht so laut wie normal geklungen hatten, mehr abgeflacht, als wäre ein Pfropfen aus einer Öffnung gestoßen worden. Sofort dachte er an einen Schalldämpfer.
Ja, der unbekannte Schütze hatte durch einen aufgesetzten Schalldämpfer geschossen.
Driscoll überlegte, wie er sich aus dieser Lage befreien konnte. Zwar wurde er nicht mehr von den Scheinwerfern an der Decke angestrahlt, die an einem Gerüst befestigt waren wie leblose Augen, aber die Lichter an den Banden gaben noch Helligkeit ab, und die floß über das grünblaue Eis hinweg.
Es erreichte auch ihn.
Spektakulärer hätte man ihn nicht in die Falle laufen lassen können. Daß man ihn hier an einem nur auf den ersten Blick
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