Der Knochenmönch
gedient hatte.
Es störte mich nicht. Ich war plötzlich herrlich frei. Ich konnte mich bewegen, ich ging auf ihn zu, ohne daß er mich hätte aufhalten können.
Ich wußte, daß ich es schaffen konnte, und diese böse Aura, die er abstrahlte, traf als erstes mein Kreuz. Sie wurde von ihm abgelenkt, sie glitt an ihm vorbei, was ich sogar sehen konnte, denn die Enden des Kreuzes, genau dort, wo die Initialen der vier Erzengel eingraviert worden waren, wurden für einen Moment aktiviert und gaben ihr kaltes, silbriges Schimmern ab.
Es irritierte ihn.
Er trat zurück.
Ich hielt das Licht auf seinen Schädel gerichtet, der in diesem starken Schein so gelb aussah wie ein strahlender Mond. Die Augenhöhlen blieben leer, das breite Maul bewegte sich, als wollte es mir etwas sagen, aber ich war es, der sprach.
Mochte das Kreuz auch in diesem Fall das Allheilmittel sein, das es ja nicht war – ich hatte genügend Niederlagen erlebt, wenn es um andere Magien ging – , hier aber mußte ich es einfach so ansehen, denn hier standen sich die beiden Urkräfte gegenüber. Gut und Böse!
Schon einmal hatte das Gute gewonnen, und dieser Kampf wiederholte sich unendlich.
»Du wirst es nicht schaffen, Verginius!« flüsterte ich ihm zu. Es war mir egal, ob er mich verstand oder nicht, aber die Worte mußten einfach hinaus. »Du wirst dich nicht auf den Thron des Papstes setzen können, nicht du. Die Einheit, die schon seit zweitausend Jahren so war, wird bleiben, das kann ich dir versprechen. Und ich werde derjenige sein, der dafür Sorge trägt. Alles muß in dieser Welt seine Ordnung haben, Verginius…«
Ob er mich verstanden oder begriffen hatte, war mir völlig egal, denn nun lag alles in der Macht meiner letzten Worte.
Dieser uralte Keller unter den Privaträumen des Papstes sollte zu seinem Grab werden, zur Stätte seiner Vernichtung.
Deshalb sprach ich die Worte.
»Terra pestem teneto – salus hic maneto!«
Es waren die Worte, es war genau die Formel, die mich noch nie im Stich gelassen hatte.
Dann geschah es!
***
Der Keller wurde in ein strahlendes Licht getaucht! Aber es war kein normales Licht, sondern eine gleißende und blendende Helligkeit, die keine Lampe verstrahlte, sondern einzig und allein mein Kreuz, das in diesem Augenblick seine gebündelte Kraft freigab und sie gegen das Böse schickte.
Ich sah den Knochenmönch vor mir stehen wie auf einer Leinwand. Es war plötzlich eine Distanz zwischen uns, und es schien mir zudem, als würden seine Umrisse besonders scharf hervortreten. Über seiner Gestalt lag das Licht wie eine dichte Glocke. Er hatte die Arme in die Höhe gerissen, mich erinnerte er in dieser Haltung an einen Magier, der seinen Götzen um Hilfe anflehte.
Doch sein Götze hielt sich zurück.
Er hatte ihn aufgegeben, denn plötzlich schössen aus dem alten Stoff des blauen Umhangs kleine Flämmchen in die Höhe. Sie waren geruchlos, aber sie breiteten sich aus.
Die Gestalt brannte.
Wir spürten keine Hitze. Es war das Feuer des Himmels, das ihn erfaßt hatte und gleichzeitig für einen Wirbel sorgte, der auch uns erfaßte.
Vor uns entstand ein Sog.
Die brennende Gestalt drehte sich einige Male um ihre eigene Achse.
Ob sie noch mit den Füßen den Boden berührte, war nicht zu erkennen, sie drehte sich immer schneller, wobei sich die Flammen zu einem ovalen Körper zusammenschlossen und sich wie Arme gegen die Decke streckten.
Der Knochenmönch verbrannte.
Und er verschwand.
Der Sog riß ihn mit. Er verschwand vor unseren Augen. Zuletzt blieb noch der Schädel übrig, der uns anglotzte, wobei er sich schon auf dem Weg ins Nichts befand, denn dort, wo eigentlich nichts war, hatte sich ein Tor geöffnet.
Den Körper gab es schon nicht mehr, nur diesen blanken Schädel, in dem das Maul weit aufgerissen war. Immer tiefer und weiter wurde er in die Unendlichkeit gezerrt.
Einen Schrei hörten wir nicht mehr. Dann war er weg.
Der Sog brach gleichzeitig zusammen, es war alles wieder normal.
Father Driscoll und ich schauten uns an. Meine Lippen zuckten, als ich zu lächeln begann.
Driscoll aber sagte: »Ich verstehe nichts, John, gar nichts…«
»Ich auch nicht«, erwiderte ich. Dann gingen wir gemeinsam den Weg zurück.
Diesmal mit sehr guten Gefühlen.
***
Wir fanden Wallraven im Garten. Er saß auf dem Boden, lehnte mit dem Rücken gegen einen Baumstamm. Die Hände lagen in seinem Schoß, und erst beim Näherkommen entdeckten wir das Blut, das aus den Wunden tropfte.
Der
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