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Der Koch

Der Koch

Titel: Der Koch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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drückte. Sie hörte die Klingel im Inneren der Wohnung, aber keine Schritte. Vielleicht ist er nicht zu Hause, hoffte sie. Aber dann drehte sich der Schlüssel im Schloss, und er stand vor ihr.
    Er trug ein weißes T-Shirt mit Bügelfalten an den kurzen Ärmeln, einen einfachen blaurot gestreiften Sarong und Sandalen. Unter den Augen lagen Schatten, die sie noch nie an ihm gesehen hatte, blauschwarz wie seine Bartstoppeln.
    Jetzt lächelte er. So glücklich, dass sie bereute, nicht auf dem Treppenabsatz umgekehrt zu sein. Sie sah ihm an, dass er überlegte, ob er sie umarmen solle, und nahm ihm die Entscheidung ab, indem sie ihm die Hand entgegenstreckte.
    »Darf ich reinkommen?«
    Er führte sie in seine Wohnung. Sie war so, wie sie sie in Erinnerung hatte: aufgeräumt und gut gelüftet. Im Wohnzimmer vor dem Hausaltar brannte die Tonlampe. Wie beim letzten Mal lief keine Musik, durch das offene Fenster drangen die Geräusche der Straße.
    Auf dem niedrigen Tisch standen eine Teekanne und eine Tasse, den Kissen auf der einen Seite sah man an, dass Maravan eben noch dort gesessen hatte. Er bot ihr den Platz gegenüber an.
    »Macht es dir etwas aus, wenn ich mich hier hinsetze?« Sie zeigte auf den Stuhl vor dem PC.
    »Bitte«, sagte er achselzuckend. »Magst du Tee?«
    »Danke, keinen Tee. Ich bleibe nicht lange. Ich wollte nur etwas fragen.«
    Sie setzte sich auf den Stuhl. Maravan blieb vor ihr stehen. Er sah gut aus. Proper, schlank, wohlproportioniert. Aber ein anderes Gefühl als Sympathie und Wohlwollen löste er bei ihr nicht aus. Die Vorstellung, dass sie mit ihm im Bett gewesen war, kam ihr grotesk vor.
    »Hast du keinen zweiten Stuhl?«
    »In der Küche.«
    »Willst du ihn nicht holen?«
    »Bei uns ist es unhöflich, Respektspersonen auf gleicher Höhe zu begegnen.«
    »Ich bin keine Respektsperson.« »Für mich schon.«
    »Quatsch. Hol einen Stuhl, und setz dich.« Maravan setzte sich auf den Boden. Andrea schüttelte nur den Kopf und stellte ihre Frage: »Was war im Essen?«
    »Du meinst, welche Zutaten?«
    »Nur die, die diese Wirkung auslösen.«
    »Ich verstehe nicht.«
    Er war ein schlechter Lügner. Bis jetzt hatte Andrea an ihrer Theorie gezweifelt. Aber er benahm sich so ertappt, dass sie ganz sicher wurde. »Du verstehst schon.«
    »Das Essen bestand aus den traditionellen Zutaten. Da war nichts drin, das nicht reingehört.«
    »Maravan, ich weiß, dass das nicht wahr ist. Ich bin mir ganz sicher. Ich kenne mich und meinen Körper. Mit dem Essen hat etwas nicht gestimmt.«
    Er schwieg einen Moment. Dann schüttelte er störrisch den Kopf.
    »Es sind uralte Rezepte. Nur die Zubereitung habe ich ein wenig modernisiert. Ich schwör's dir, da war nichts drin.«
    Andrea stand auf und ging zwischen Altar und Fenster hin und her. Es dämmerte jetzt, der Himmel über den Ziegeldächern hatte sich orange gefärbt, die Stimmen auf der Straße waren verstummt.
    Sie wandte sich vom Fenster ab, baute sich vor Maravan auf. »Steh auf, Maravan.«
    Er stand auf und senkte die Lider.
    »Sieh mich an.«
    »Bei uns ist es unhöflich, jemandem in die Augen zu sehen.«
    »Bei uns ist es unhöflich, einer Frau etwas ins Essen zu tun, damit sie mit einem ins Bett geht.«
    Er sah ihr in die Augen. »Ich habe dir nichts ins Essen getan.«
    »Maravan, ich verrate dir jetzt ein Geheimnis: Ich schlafe nicht mit Männern. Sie machen mich nicht scharf. Sie haben mich noch nie scharf gemacht. Ich habe als Teenager zweimal mit einem Jungen geschlafen, weil ich dachte, das tut man. Aber schon nach dem zweiten Mal habe ich gewusst, dass ich das nie mehr tun würde.«
    Sie legte eine Pause ein. »Ich schlafe nicht mit Männern, Maravan. Ich schlafe mit Frauen.«
    Er sah sie erschrocken an.
    »Verstehst du jetzt?«
    Er nickte.
    »Also, was war im Essen?«
    Maravan nahm sich Zeit. Dann sagte er: »Ayurveda ist eine Heilkunde, die viele tausend Jahre alt ist. Sie kennt acht Sparten. Die achte heißt Vajikarana. Sie befasst sich mit Aphrodisiaka. Dazu gehören auch gewisse Speisen. Meine Großtante Nangay ist eine weise Frau, die unter anderem solche Speisen zubereitet. Von ihr habe ich die Rezepte. Aber die Art, wie sie zubereitet waren, stammt von mir.«
    Als Andrea an diesem Abend nach Hause fuhr, war sie eingeweiht in die aphrodisischen Geheimnisse von Milch und Urd-Linsen, Safran und Palmzucker, Mandeln und Sesamöl, Safranghee und Langpfeffer, Kardamom und Zimt, Spargel- und Lakritzenghee.
    Sie hatte ihn halbherzig beschimpft,

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