Der Koch
war so weit gegangen, seine Tat als »ayurvedisches date raping« zu bezeichnen, und hatte seine Wohnung ohne Abschied verlassen. Aber jetzt fühlte sie sich doch eher erleichtert als beunruhigt. Als es ihr, zwei Tramstationen vor ihrem Ziel, gelang, die ganze Geschichte aus etwas Distanz zu betrachten, musste sie laut auflachen.
Schräg gegenüber lächelte ein junger Mann zurück.
Auch Maravan hatte das Treffen getröstet. Dieser Grund der Abweisung war zu ertragen. Der einzige Mann gewesen zu sein, für den sie für eine Nacht ihren Neigungen untreu geworden war, erfüllte ihn sogar mit ein bisschen Stolz. Und - wenn er ehrlich war - auch mit ein bisschen Hoffnung.
Am nächsten Tag schickte er seiner Schwester zehntausend Rupien, um einen Vorwand zu haben, mit ihr zu telefonieren und sie zu bitten, für Nangay einen Telefontermin zu arrangieren. Zwei Tage musste er sich gedulden, bis es klappte.
Nangay klang schwach und erschöpft, als er sie endlich erreicht hatte.
»Nehmen Sie Ihre Medikamente,
mami
?«,
fragte er. Er siezte sie nach Brauch und nannte sie
mami,
Tante. »Ja, ja, rufen Sie deshalb an?« »Auch.«
»Und weshalb noch?«
Maravan wusste nicht recht, wie er anfangen sollte. Sie kam ihm zuvor.
»Es ist normal, wenn es nicht beim ersten Mal funktioniert. Manchmal braucht es Wochen, Monate. Sagen Sie ihnen, sie müssen Geduld haben.«
»Es hat beim ersten Mal funktioniert.«
Eine Weile war sie still. Dann sagte sie: »Wenn beide fest daran glauben, kommt das vor.«
»Die Frau hat aber nicht daran geglaubt. Nicht einmal gewusst hat sie es.«
»Dann liebt sie den Mann.«
Maravan gab keine Antwort.
»Sind Sie noch da, Maravan?«
»Ja.«
Leise fragte Nangay: »Ist sie wenigstens eine Shudra?«
»Ja,
mami
.« Er fand die Lüge verzeihlich. Shudra war die Kaste der Dienenden. Und Andrea war schließlich Service-Angestellte.
Als seine Schwester wieder dran war, fragte er:»Stimmt es, dass sie ihre Medikamente nimmt?«
»Wie denn?« Sie klang gereizt. »Wir haben nicht einmal genug Geld für Reis und Zucker.«
Nach dem Gespräch blieb Maravan noch lange vor dem Bildschirm sitzen. Er kam immer mehr zu der Überzeugung, dass die rasche Wirkung an der molekularen Zubereitung liegen musste.
JUNI 2009
9
Der Sonntagmorgen war so sonnig gewesen, dass sich Dalmann das Frühstück auf der Terrasse servieren ließ. Aber kaum hatte Lourdes das Rührei mit Speck gebracht, zog der Wind einen Wolkenvorhang vor die Sonne.
Dalmann machte sich trotzdem über den Teller her und griff sich die oberste der vier Sonntagszeitungen, die ihm die Haushälterin bereitgelegt hatte. Jetzt verdüsterte sich auch seine Stimmung.
Durch die Hysterie um die Aktenvernichtung des Bundesrats wurde unnötigerweise Dreck aufgewirbelt. Ein Teil dessen, was der deutsche Bundesnachrichtendienst über die Atomschmuggelsache berichtet hatte, war in die Hände eines Journalisten geraten, und jetzt war plötzlich neben der pakistanischen auch die iranische Verbindung ein Thema. Nicht mehr lange, und der Name Palucron würde in der Zeitung stehen.
Die Palucron war eine heute nicht mehr aktive Aktiengesellschaft mit Sitz in einem Anwaltsbüro im Stadtzentrum. Über sie liefen damals die Zahlungen aus dem Iran an die involvierten Firmen, übrigens alles grundsolide, tadellos beleumundete Unternehmen, die natürlich keine Ahnung hatten von ihrer Einbindung in die Entwicklung eines Atomprogramms.
Das galt selbstverständlich offiziell auch für die Palucron. Jedenfalls für ihren damaligen Verwaltungsrat Eric Dalmann, der dort nur auf Bitte einer Geschäftsbekanntschaft, der er eine Gefälligkeit schuldete, Einsitz genommen hatte.
Jedenfalls: Es käme ihm jetzt, wo die Geschäfte ohnehin unter der Finanzkrise zu leiden begannen, extrem ungelegen, wenn er in einem Atemzug mit dieser Geschichte genannt würde.
Dalmann blickte zum Himmel. Es war eine ganze Wolkenfront, die die Sonne verdunkelte. Zudem kam ein unangenehm kühler Wind auf, der ihn in seinem sommerlichen Freizeitoutfit - grünes Polo und leichte, schottisch karierte Golfhose - frösteln ließ.
»Lourdes!«, rief er. »Wir gehen rein!« Er stand auf, nahm die Kaffeetasse und ging durch die Verandatür in den Salon. Dort setzte er sich in einen Polstersessel und stierte missmutig vor sich hin, bis die Haushälterin das Frühstück auf der Terrasse abgeräumt und im Esszimmer neu gedeckt hatte.
Kaum hatte er sich gesetzt und über die frische Portion Rührei mit
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