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Der Koch

Der Koch

Titel: Der Koch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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großer Tisch unter einem bunten Baldachin aufgebaut. Zwei Frauen nahmen die Pachadis entgegen und begannen, sie in kleinen Portionen auf Kunststoffteller zu verteilen. Maravan half ihnen dabei.
    Sie waren noch nicht bei der Hälfte angelangt, als sich die Tempeltür öffnete, die Gläubigen herausströmten und im Gewimmel von Schuhen vor dem Eingang nach ihrem Paar suchten. »Puthandu Vazhthugal«, riefen sie sich zu, »glückliches neues Jahr.«
    Maravan portionierte weiter die Pachadis, während die Frauen die Teller verteilten. Er konzentrierte sich auf seine Arbeit, lauschte aber mit der Neugier und Ängstlichkeit des Künstlers auf die Kommentare seines Vernissagepublikums. Er hörte nichts Abschätziges, aber auch kaum Lob. Die Gemeinde putzte fröhlich und gedankenlos weg, was er mit so viel Liebe zubereitet hatte.
    Ein paar der Gesichter kannte er, aber nicht viele. Maravans Aktivitäten in der Diaspora beschränkten sich auf die Besuche der wichtigsten Feste und Kontakte mit den Mitbewohnern seines Hauses, von denen er ab und zu einige als Testesser einlud. Auch in den tamilischen Geschäften tauchte er auf und wechselte ein paar Worte mit den Inhabern oder Kunden. Aber sonst blieb er für sich. Nicht nur, weil ihm seine Arbeit und sein aufwendiges Hobby kaum Zeit ließen. Er hatte noch einen anderen Grund: Er wollte sich von der LTTE fernhalten, die bei der tamilischen Asylbevölkerung eine wichtige Rolle spielte und von dieser die Mittel für den Befreiungskampf eintrieb.
    Maravan war nicht militant. Er glaubte nicht an den unabhängigen Staat Tamil Eelam. Er würde das zwar nie laut sagen, aber er war der Meinung, dass die
Liberation Tigers
eine Versöhnung erschwerten und die Rückkehr von ihnen allen, die sie hier froren und niedrige Arbeiten verrichteten, verzögerten, vielleicht noch für Generationen verhinderten. Das wollte er nicht mitfinanzieren.
    »Puthandu Vazhthugal«, sagte eine Frauenstimme.
    Vor ihm stand eine junge Frau. Sie trug einen roten Sari mit einer breiten goldenen Borte und war so schön, wie nur eine junge Tamilin schön sein konnte. Ihre gescheitelten glänzenden Haare setzten tief an der Stirn an, ihre dichten, kaum gebogenen Brauen ließen gerade genug Platz für den roten Punkt, der sie schmückte. Das Schwarz ihrer Pupillen hob sich kaum vom Schwarz ihrer Iris ab, ihre Nase war fein und gerade geschnitten, und darunter lächelte ein voller Mund etwas schüchtern und etwas erwartungsvoll.
    »Noch rechtzeitig zur Arbeit gekommen?«, fragte sie.
    Jetzt erst erkannte er sie. Die junge Frau aus dem Tram. In der klobigen Steppjacke mit der Kapuze war ihm nicht aufgefallen, wie schön sie war.
    »Und Sie? Sind die Flecken rausgegangen?«
    »Dank meiner Mutter.« Sie deutete auf eine füllige Frau im weinroten Sari, die neben ihr stand. »Das ist der Mann, der mich umgerissen hat«, erklärte sie.
    Die Mutter nickte nur, sah von Maravan zu ihrer Tochter und wieder zurück. »Lass uns gehen, Vater wartet.«
    Jetzt erst fiel Maravan auf, dass die Tochter zwei Teller trug und die Mutter nur einen.
    »Mihdum Sandipom«, sagte sie.
    »Auf Wiedersehen«, antwortete Maravan. »Sandana, nicht wahr?«
    »Maravan, nicht wahr?«
     

MAI 2008

8
    Im Mai gestand Maravan seiner Familie, dass er arbeitslos war. Es blieb ihm nichts anderes übrig, denn seine Schwester flehte ihn um sehr viel mehr Geld an, als er entbehren konnte. In Jaffna gab es kaum Reis und Zucker. Was auf dem Schwarzmarkt zu bekommen war, hätte Maravans finanzielle Möglichkeiten auch dann überstiegen, wenn er Arbeit gehabt hätte.
    Dennoch versprach er, irgendwie Geld aufzutreiben und am nächsten Tag wieder anzurufen. Aber am nächsten Tag war seine Schwester nicht zu erreichen. Im Batticaloa-Basar erfuhr er dann, dass der Brigadier Balraj, der Held der Offensive am
Elephant Pass,
gestorben und eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen worden war, die auch in Jaffna von vielen befolgt wurde.
    Am vierten Tag kam er endlich durch und musste seiner Schwester beibringen, dass er nicht mehr als zweihundert Franken, knapp zwanzigtausend Rupien, schicken könne. Sie reagierte, wie er sie noch nie erlebt hatte: wütend und vorwurfsvoll. Erst da beichtete er ihr seine Situation.
     
    Der Monat
Vaikasi
war nicht gerade reich an Festen, und auch als Koch für eine Familienfeier hatte ihn noch niemand engagiert. Seine Stellensuche verlief deprimierend, nicht einmal Spitalküchen und Fabrikkantinen hatten Interesse an ihm.
    Wenn er eine

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