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Der Koch

Der Koch

Titel: Der Koch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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hungriger Fans hereinbrach, kam er nicht nach mit der Arbeit. Beides, das Nichtstun und das Nichtnachkommen, nahm ihm der Chef übel. So, wie er überhaupt allen alles übelnahm. Er sorgte für eine miese Arbeitsatmosphäre, weil er für teures Geld eine Lizenz erworben, sich das große Geschäft versprochen hatte und jetzt erleben musste, wie in der Fanmeile meistens Flaute herrschte. Die Schweiz war ausgeschieden, und es war kalt und regnerisch. Maravan zählte die Tage bis zum Ende der Europameisterschaft.
    Nicht nur wegen des Jobs. Der ganze Rummel ging ihm auf die Nerven. Er interessierte sich nicht für Fußball. Schwimmen war sein Sport gewesen. Und ganz früher hatte er sich auch einmal für Kricket interessiert. Bevor er sich ganz dem Kochen verschrieben hatte.
    Das einzig Gute an diesem Job war, dass die Arbeitslosenkasse davon nichts erfuhr. Eine etwas zweifelhafte Temporärfirma, die vor allem mit Leuten in seiner Situation arbeitete, hatte ihm die Stelle vermittelt. Er war zwar schlecht bezahlt, zwanzig Franken die Stunde, aber er verdiente sie zusätzlich zum Arbeitslosengeld.
    Er hatte seiner Schwester Geld für Nangays Behandlung geschickt und dafür Schulden gemacht. Dreitausend Franken. Natürlich nicht bei einer Bank - welche Bank hätte einem arbeitslosen Asylbewerber schon Kredit gegeben? -, sondern bei Ori, einem tamilischen Geschäftsmann, der privat Geld verlieh. Fünfzehn Prozent Zinsen. Auf den ganzen Betrag bis zur Tilgung.
    Er hatte es zuerst ohne Schulden versucht. Gleich nachdem er erfahren hatte, dass Nangay ihre Behandlung nicht fortsetzen konnte, hatte er schwarz bei einem Altreifenlager gejobbt. Er musste den ganzen Tag die schweren Reifen sortieren.
    Aber er hielt nicht durch. Nicht, weil ihm die Arbeit zu hart war: Sie war ihm zu schmutzig. Es gab dort keine Dusche, und am Waschbecken bekam er den Gummigestank und den schwarzen Dreck nicht weg. Dass er ganz unten auf der sozialen Leiter schuftete, konnte er gerade noch verkraften. Aber sein Stolz ließ es nicht zu, danach auszusehen und danach zu riechen.
    Auch auf dem Bau hatte er es versucht. Er arbeitete für den Subunternehmer eines Subunternehmers auf einer großen Baustelle. Aber schon am zweiten Tag tauchte ein städtischer Schwarzarbeiterkontrolleur auf. Maravan und zwei seiner Kollegen konnten gerade noch rechtzeitig verschwinden. Der Subunternehmer war ihm den Lohn bis heute schuldig geblieben.
    Im Abwaschzelt merkte man nicht, wie kühl es draußen war. Maravan schrubbte die hartnäckigen Reste eines Gulaschs von einem Essensbehälter. Sonst hatte er nichts zu tun. Durch die Zeltwand hörte er die Stimme eines Fußballreporters. Auf dem kleinen Fernsehapparat lief das Spiel Italien - Rumänien. Alle Imbissstände der Fanmeile hofften auf einen Sieg Italiens. Es waren viel mehr Italiener als Rumänen in der Stadt, und sie waren auch die spendableren Fans.
    Endlich, in der fünfundfünfzigsten Minute, fiel das erlösende Eins-zu-null. Maravan erschrak über das Triumphgeschrei und linste durch den Vorhang, der den Durchgang zum Stand verhängte. Am lautesten brüllte der Chef. Er hüpfte mit hochgerissenen Armen auf und ab und schrie: »Italia! Italia!«
    Maravan tat, als freue er sich mit, und das wurde ihm zum Verhängnis. In der gleichen Sekunde, als er durch den Vorhang lachte, glich Rumänien aus. Der Chef wandte sich angewidert vom Fernseher ab und sah in das strahlende Antlitz von Maravan. Er sagte kein Wort, aber nachdem das Spiel eins zu eins geendet hatte und der erhoffte Ansturm euphorischer italienischer Fans den ganzen Abend über ausgeblieben war, zahlte er Maravan aus und teilte ihm mit, dass er am nächsten Tag nicht wiederzukommen brauche.
    Er fuhr gegen seine Gewohnheit im Triebwagen der Nummer zwölf nach Hause. Im Anhänger hatte ein Fan gekotzt, Maravan hielt den Gestank nicht aus.
    Auf der Straße waren immer noch vereinzelte Fans auf dem Weg zurück ins Zentrum. Die Halstücher in den Farben ihrer Mannschaften dienten jetzt als Schutz gegen den kühlen Wind, und nur gelegentlich drangen Fetzen eines trotzigen Kampfliedes herein.
    Maravan hatte sich noch nie so am Ende gefühlt. Nicht einmal an dem Tag, an dem er sich entschlossen hatte, sein ganzes Erspartes einem Schlepper zu übergeben. Das war wenigstens ein Ausweg gewesen.
    Diesmal sah er keinen. Oder nur einen sehr demütigenden. Wenn er sich zu den Befreiungstigern bekannt hätte, hätte er die Stelle im ceylonesischen Restaurant bekommen. Dem

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