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Der Koch

Der Koch

Titel: Der Koch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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grünen Chilis und Salz gemischt, fügte jetzt die gemixte Masse hinzu und goss den mit Chilis und Senfkörnern gewürzten Ghee darüber.
    Das Niemblüten-Pachadi stand schon bereit. Er hatte es nach altem Rezept aus den bitteren Blüten des Niembaums, dem süßen Nektar der männlichen Palmyrablüte, dem sauren Saft der Tamarinde, dem frischen Fruchtfleisch der grünen Mango und dem scharfen Gehäuse der Chilischote zubereitet. Denn ein Niemblüten-Pachadi musste schmecken wie das Leben: bitter, süß, sauer, frisch und scharf.
    Nach der Zeremonie würden die Tempelgänger auf nüchternen Magen von beiden Pachadis essen und sich dann Puthandu Vazhthugal wünschen, glückliches neues Jahr.
    Huwyler hatte Maravan vor die Wahl zwischen einem Arbeitszeugnis und einer Arbeitsbestätigung gestellt. In Ersterem würde er die fristlose Kündigung und deren Begründung (Entwendung zum Gebrauch eines wertvollen Küchengeräts) erwähnen, in Letzterer nur die Dauer des Arbeitsverhältnisses und die Funktion.
    Maravan hatte sich für die Arbeitsbestätigung entschieden. Aber wo immer er vorsprach, wunderte man sich, dass Maravan nach über einem Jahr bei Huwyler nur eine Arbeitsbestätigung vorzuweisen hatte. Danach hörte er nichts mehr oder erhielt eine Absage.
    Er stempelte. Etwas über zweitausend Franken würde er erhalten haben, wenn der Monat um war. Plus das, was er zusätzlich inoffiziell verdiente.
    Dieser Job im Tempel war allerdings der erste Auftrag dieser Art. Und schlecht bezahlt war er auch. Man hatte an seinen Gemeinsinn appelliert und eigentlich erwartet, dass er den Einsatz umsonst leiste, als eine Art freiwilliger Gemeindearbeit. Sie hatten sich dann doch auf den symbolischen Betrag von fünfzig Franken geeinigt. Der Priester hatte versprochen, seinen Namen vor der Gemeinde zu nennen. Maravan hoffte, dass diese Werbung und die Qualität des Essens ihn als Koch bekannt machen würden.
    Die sri-lankische Diaspora war eine geschlossene Gesellschaff. Darauf bedacht, ihre Kultur zu bewahren und sie von den Einflüssen ihres Asyllandes zu schützen. So gut sich die Tamilen beruflich integrierten, so sehr grenzten sie sich gesellschaftlich ab. Aber Maravan war kein sehr aktives Mitglied dieser Gemeinschaft. Er hatte, abgesehen vom Deutschkurs, von keinem der Angebote für Neuankömmlinge Gebrauch gemacht. Zwar besuchte er den Tempel zu den wichtigsten Feiertagen, aber sonst wahrte er Distanz. Doch jetzt, wo er versuchte, sich als Privatkoch ein Auskommen zu verschaffen, fehlten ihm die Beziehungen zur Diaspora.
    Die tamilischen Hindus feierten viele religiöse und Familienfeste - Pubertätszeremonie, Hochzeit, Schwangerschaftsfest. Bei keinem wurde gegeizt, und bei allen wurde gegessen.
    Das Kochen fürs Neujahrsfest war immerhin ein Anfang. Und - wer weiß ? - mit der Zeit würde es sich vielleicht auch bei den Schweizern herumsprechen, dass es da einen gab, der indische, ceylonesische, ayurvedische Spitzenküche ins Haus lieferte. Eines Tages würde man im Villenviertel der Stadt einen Lieferwagen antreffen, einen kurkumagelben Citroen Jumper vielleicht, mit der Aufschrift
Maravans Catering.
    Und noch einen Traum hatte er: Maravan's. Die einzige Adresse für subkontinentale Avantgarde-Küche. Höchstens fünfzig Plätze, ein kleiner kulinarischer Tempel, in welchem den Düften, Aromen und Texturen Südindiens und Sri Lankas gehuldigt wurde.
    Und wenn ihn Maravan's ein wenig wohlhabend gemacht hatte und in Sri Lanka Frieden herrschte, würde er zurückkehren und das Restaurant in Colombo weiterführen.
    In diesen Träumen kam immer auch eine Frau vor. Aber jetzt war sie nicht mehr schemenhaft, jetzt hatte sie Gestalt angenommen: die von Andrea. Sie beaufsichtigte das Servierpersonal beim Catering, und sie war die Maitre d' in Maravan's. Später, in Colombo, würde sie sich nur noch um Haus und Familie kümmern, wie eine richtige tamilische Ehefrau.
    Allerdings hatte er von Andrea seit jenem Dienstagmorgen im April nichts mehr gehört. Er hatte weder ihre Adresse noch ihre Telefonnummer. Nach einer Woche ohne Nachricht überwand er seinen Stolz und rief im Huwyler an. Sie arbeite nicht mehr hier, war die Auskunft, die er von Frau Keller bekam.
    »Können Sie mir ihre Adresse oder Telefonnummer geben?«, hatte er gefragt.
    »Wenn sie gewollt hätte, dass du sie anrufst, hätte sie sie dir gegeben«, sagte Frau Keller und legte auf.
    Maravan trug die Schüsseln nach draußen. Dort, vor dem Tempeleingang, war ein

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