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Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Titel: Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mukherjee Siddhartha
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ist wie der Fall eines mächtigen Staates,
Der tapfere Heere, Führer und Propheten hatte,
Und reiche Häfen, und Schiffe auf allen Meeren,
Aber nun kommt er keinem zu Hilfe,
Verbündet sich mit niemandem.
    Czesław Miłosz
     
 
In letzter Zeit fiel mir auf, 2 dass Ereignisse außerhalb der Wissenschaft,
    etwa Mary Laskers Cocktailpartys oder Sidney Farbers Jimmy-Fonds,
etwas mit den Rahmenbedingungen der Wissenschaftspolitik zu tun haben.
    Robert Morison
     
    1951, als Farber und Lasker sich mit »telepathischer« Intensität über eine Kampagne gegen den Krebs austauschten, veränderte ein einschneidendes Ereignis die Dringlichkeit ihrer Bemühungen von Grund auf. Bei Albert Lasker wurde Darmkrebs diagnostiziert. New Yorker Chirurgen versuchten heroisch, den Tumor zu entfernen, doch waren auch in der weiteren Umgebung des Darms die Lymphknoten befallen, und chirurgisch war nicht viel auszurichten. Im Februar 1952 war Albert an sein Klinikbett gefesselt, 3 vom Schock betäubt, und wartete auf den Tod.
    Den Laskeriten wird der sarkastische Beiklang dieses Ereignisses nicht entgangen sein. In ihren Anzeigen, mit denen sie Ende der vierziger Jahre das Bewusstsein für Krebs zu schärfen versuchten, war häufig die Rede davon, dass jeder vierte Amerikaner am Krebs sterben werde. Dieser »vierte« war jetzt Albert – von derselben Krankheit heimgesucht, die er zu besiegen gehofft hatte. »Es scheint ein wenig unfair«, 4 schrieb ein enger Freund aus Chicago (mit erheblicher Untertreibung), »dass jemand, der sich derart für die Forschung auf diesem Gebiet eingesetzt hat wie Sie, jetzt selbst davon betroffen ist.«
    In Mary Laskers umfangreichem Nachlass – fast achthundert Kisten mit Berichten, Briefen, Notizen, Interviews – finden sich wenig Spuren von ihrer Reaktion auf die Tragödie. So sehr der Krebs im Allgemeinen sie in Anspruch nahm, war sie doch eigenartig wortkarg, was die körperliche Dimension, die Unwürdigkeit des Sterbens betraf. Es findet sich hin und wieder ein Anflug von Innerlichkeit und Schmerz, wenn sie ihre Besuche im Harkness Pavilion in New York erwähnt, wo sie Alberts Zustand sich zum Koma verschlechtern sah, und an verschiedene Onkologen schreibt – darunter Farber – und sich erkundigt, ob es nicht noch ein allerletztes Medikament gebe. In den Monaten vor Alberts Tod nahmen diese Briefe einen insistierenden, fast manischen Ton an. Der Darmkrebs hatte in die Leber gestreut, und sie fahndete diskret, aber mit Nachdruck nach irgendeiner denkbaren Therapie, so weit hergeholt sie auch sein mochte, um den Verlauf der Krankheit zu stoppen. Meistens aber schwieg sie – undurchdringlich, verschlossen, entsetzlich einsam. Mary Lasker trug ihre Trauer allein.
    Albert Lasker starb am 30. Mai 1952 5 um acht Uhr morgens. In der Villa Lasker fand eine private Trauerfeier im kleinen Kreis statt. Die Times schrieb in ihrem Nachruf: »Er war mehr als ein Philanthrop, denn er gab nicht nur von seiner Substanz, sondern auch von seiner Erfahrung, seinen Fähigkeiten, seiner Kraft.«
    Mary Lasker erkämpfte sich den Weg zurück ins öffentliche Leben. Sie nahm ihre Routine aus Wohltätigkeitsveranstaltungen, Bällen, Spendensammelaktionen wieder auf, ihr Kalender füllte sich: Bälle für diverse medizinische Stiftungen, eine Abschiedsparty für Harry Truman, eine Benefizveranstaltung für Arthritis. Sie schien gefasst, engagiert, energisch – wie ein Meteor leuchtete sie in der verdünnten Atmosphäre über New York.
    Aber die Person, die sich 1953 wieder ihren Weg in die New Yorker Gesellschaft bahnte, war von Grund auf anders als die Frau, die sich ein Jahr zuvor zurückgezogen hatte. Etwas in ihr war zerbrochen. Im Schatten von Alberts Tod bekam Mary Laskers Kampagne gegen den Krebs einen dringlicheren, nachdrücklicheren Ton. Sie suchte nicht mehr nach einer Strategie, um für den Kreuzzug gegen den Krebs zu werben , sie suchte eine Strategie, um ihn zu führen . »Wir sind im Krieg mit einem heimtückischen, gnadenlosen Feind«, 6 drückte es ein Freund, Senator Lister Hill, später aus – und ein Krieg dieser Größenordnung verlangte unermüdlichen, uneingeschränkten, unnachgiebigen Einsatz. Der praktische Nutzen durfte die Wissenschaft nicht nur inspirieren, sondern musste sie durchdringen. Die Laskeriten wollten nun eine radikal umstrukturierte Organisation, ein von Grund auf neu errichtetes NCI, dessen Bürokratie sich auf das Allernötigste beschränkte, das aber großzügig mit

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