Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie
adjuvant verabreichtem Tamoxifen – dem anderen aktiven Wirkstoff gegen Brustkrebs, wie Coles Team bewiesen hatte – Rezidive bei Frauen mit lokalisiertem ER-positivem Brustkrebs nach der Operation zu reduzieren? War Moya Coles Idee, Brustkrebs im Frühstadium mit einem Antiöstrogen zu behandeln, richtig gewesen?
Das war eine Frage, der Bernard Fisher nicht widerstehen konnte, obwohl er von mehreren anderen Studien sehr in Anspruch genommen war. Im Januar 1977, fünf Jahre nach Veröffentlichung von Coles Erkenntnissen über Tamoxifen bei metastasiertem Krebs, rekrutierte Fisher 1891 Frauen mit ER-positivem Brustkrebs, 8 der sich nur bis zu den Achsellymphknoten ausgebreitet hatte. Die eine Hälfte behandelte er mit adjuvantem Tamoxifen, die andere bekam kein Tamoxifen. Bis 1981 hatten sich die beiden Gruppen weit auseinanderentwickelt. Die postoperative Tamoxifen-Behandlung verringerte die Rückfallrate um fast 50 Prozent. Besonders ausgeprägt war die Wirkung bei Frauen über fünfzig, einer Gruppe, bei der die üblichen Chemotherapiepläne häufig versagten und die Wahrscheinlichkeit eines aggressiven, metastasenbildenden Rezidivs am höchsten war.
Als Fisher 1985, drei Jahre später, die abweichenden Rezidiv- und Überlebenskurven noch einmal analysierte, zeigte sich noch viel deutlicher, welche Wirkung Tamoxifen hatte: Bei den mehr als fünfhundert Frauen über fünfzig in jeder der beiden Gruppen hatte die Tamoxifen-Behandlung fünfundfünfzig Rezidive und Todesfälle verhindert. Ein zielgenauer hormoneller Wirkstoff, der praktisch ohne signifikante Nebenwirkungen war, hatte die Biologie von Brustkrebs nach der Operation verändert.
So waren Anfang der achtziger Jahre aus der Asche der alten Überzeugungen schöne neue Paradigmen für die Behandlung von Krebs hervorgegangen. Halsteds Fantasie von der Ausmerzung von Tumoren im Frühstadium war als adjuvante Therapie wiedergeboren, Ehrlichs »Zauberkugeln« gegen den Krebs kehrten als Antihormontherapie gegen Brust- und Prostatakrebs zurück.
Eine zuverlässige, vollständige Heilung bot keine der beiden Behandlungsmethoden: Weder die adjuvante noch die antihormonelle Therapie vernichtete den Krebs. Die Antihormontherapie führte zu ausgedehnten Remissionen, die sich über Jahre, sogar Jahrzehnte hinzogen, und die adjuvante Therapie war vor allem eine Reinigung, die den Körper von verbliebenen Krebszellen säuberte; sie verlängerte die Lebenserwartung, aber viele Patientinnen hatten schließlich doch einen Rückfall. Am Ende, häufig nach jahrzehntelanger Remission, traten neue Tumoren auf, und die waren resistent sowohl gegen die Chemo- als auch gegen die Antihormontherapie und brachten das Gleichgewicht, das die Behandlung hergestellt hatte, zum Einsturz.
Doch auch wenn die Alternativen zur herkömmlichen Therapie keine endgültige Heilung bewirkten, hatten diese beeindruckenden Studien mehrere wichtige Prinzipien der Krebsbiologie und Krebstherapie unverrückbar etabliert. Erstens machten sie noch einmal nachdrücklich klar, dass Krebs, wie schon Kaplan beim Hodgkin-Lymphom festgestellt hatte, äußerst heterogen ist. Brust- und Prostatakrebs zeigen ein ganzes Spektrum von Spielarten, deren jede ein einzigartiges biologisches Verhalten aufweist. Die Heterogenität ist zum einen genetisch: Bei Brustkrebs zum Beispiel hatten die Studien gezeigt, dass manche Varianten auf die Antihormonbehandlung ansprechen, andere reagieren gar nicht. Und zum anderen ist die Heterogenität anatomisch: Manche Tumoren waren, als sie entdeckt wurden, auf die Brust beschränkt, andere neigten dazu, auf fern gelegene Organe überzugreifen.
Zweitens hatte die Erkenntnis der Heterogenität als solche nachhaltige Folgen. »Kenne deinen Feind«, lautet die alte Weisheit, und Fishers und Bonadonnas Studien hatten bewiesen, dass es von wesentlicher Bedeutung ist, den Krebs so genau wie möglich zu »kennen«, bevor man, womöglich voreilig, mit der Behandlung beginnt. In Bonadonnas Studie war beispielsweise die genaue Unterscheidung von Mammakarzinomen je nach Entwicklungsstadium eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg: Fortan war klar, dass Brustkrebs im Frühstadium nicht so behandelt werden kann wie Brustkrebs im Spätstadium. In Fishers Studie wiederum war die genaue Unterscheidung von ER-positiven und ER-negativen Tumoren ausschlaggebend: Hätte man Tamoxifen wahllos, auch an ER-negativen Mammakarzinomen, getestet, so wäre das Medikament als nutzlos verworfen
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