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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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Rolle gespielt.
    Sie musste mit Titus sprechen. Das war jetzt an der Reihe. Er würde ihr all das hier erklären. Sie überlegte, ob sie gehen und ihn suchen sollte, doch sie wollte das Mädchen nicht alleine lassen. Sie ging zur Tür, öffnete sie und rief mehrmals Titus’ Namen. Niemand antwortete. Es fühlte sich seltsam an, in einem fremden Haus die Stimme zu erheben, und sie wollte schon aufgeben, da hörte sie von der Treppe Titus’ Stimme, ohne allerdings verstehen zu können, was er sagte. Einen Augenblick später konnte sie ihn sehen. Sie trat hinaus in die Halle, um ihm entgegenzugehen.
    Wie gewohnt wirkte er vollkommen ruhig und beherrscht. Sein Frack war wie immer faltenlos, und er schritt die Treppe in seinem eigenen Tempo herab, ohne jede Eile. Beim Anblick ihres Geliebten entspannte sich Vanessa. Seitdem ihr fast erwachsener Sohn, ihr einziges Kind, vor drei Jahren bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen war, war sie davon überzeugt, die Welt sei etwas Furchtbares und Beängstigendes, und die einzige Hoffnung, die einem blieb, sei nicht etwa die auf irgendein Glück, sondern nur zu überleben. Ihr Mann hatte ihr nicht beistehen können in ihrer Trauer. Bill Trave mochte seine Arbeit gut machen, aber er war nicht in der Lage, seine Gefühle auszudrücken oder seiner Frau dabei zu helfen, mit den ihren umzugehen. Nachdem Joe gestorben war, hatte er sich an einen dunklen, unzugänglichen Ort zurückgezogen und Zuflucht in seiner Polizeiarbeit gesucht. Tag für Tag hatte er so getan, als hätte ihr gemeinsamer Sohn nie existiert. Schließlich hatte sie es nicht mehr ausgehalten. Es war ein Verbrechen – als ob das Kind ein zweites Mal getötet würde. Joe mochte nur neunzehneinhalb Jahre auf der Welt gewesen sein, aber daswaren für sie die bedeutendsten Jahre ihres Lebens. Sie konnte ihrem Mann einfach nicht vergeben, dass er ihn verleugnete. Vor achtzehn Monaten hatte sie ihn verlassen, weil es nicht mehr anders ging. Sie wäre sonst gestorben. Und nachdem sie sich freigemacht hatte, war das Einzige, was sie noch vom Leben erwartete, das ständige Gefühl des Erdrücktwerdens wenigstens ein bisschen mildern zu können. Doch stattdessen war Titus aufgetaucht und hatte ihr Herz im Sturm erobert. Glücklich zu sein war allerdings nicht so einfach: Sie fühlte sich schuldig, sowohl Joe als auch ihrem Mann gegenüber; dazu kam, dass sie Titus kennengelernt hatte, weil er Zeuge in einem von Bills Mordfällen war. Aber Bill hätte wohl jede neue »Bekanntschaft« gehasst. Mochte ihr neues Leben auch nicht perfekt sein – besser als der Tod, den sie bei lebendigem Leib erfahren hatte, war es allemal. Und seit kurzem war sie auch in der Lage, dieses Leben zu genießen. Titus schenkte ihr Sicherheit. Er machte, dass sie sich begehrenswert fühlte, und das zu einem Zeitpunkt, als sie Derartiges schon gar nicht mehr für möglich hielt. Er gab ihr das Gefühl, von Bedeutung zu sein.
    »Ist alles in Ordnung, Liebes?«, fragte Titus, als er von oben auf sie hinuntersah und ihren besorgten Gesichtsausdruck bemerkte. »Verzeih, dass du so lange warten musstest.«
    »Das ist es nicht. Es geht um deine Nichte.«
    »Katya?«
    »Ja. Sie ist hier drin«, sagte Vanessa und deutete hinter sich auf den Salon. »Es geht ihr nicht gut. Ich habe ihr etwas Sodawasser gegeben, aber sie ist in Ohnmacht gefallen.«
    Zum ersten Mal, seitdem Vanessa Titus kannte, ging er vor ihr durch eine Tür. Katya lag immer noch neben dem Sofa, und soweit sie sehen konnte, war das Mädchen immer noch bewusstlos. Das war auch besser so, dachte Vanessa unwillkürlich. Die Angst war aus Katyas Gesicht verschwunden, und sie sah ruhig aus, wenn nicht sogar friedlich.
    Titus kniete neben seiner Nichte auf dem Teppich nieder undstrich ihr sanft die langen Haare aus dem Gesicht. Vanessa bemerkte, wie zärtlich Titus’ Berührung war, und Sorge und Mitleid standen ihm deutlich erkennbar ins Gesicht geschrieben. Es war offensichtlich, dass Titus seiner Nichte nichts Böses wollte. Derartiges anzunehmen war lächerlich, dachte Vanessa, als sie die beiden da am Boden betrachtete. Titus war Katyas Beschützer, nicht ihr Feind.
    Mit einer eleganten Bewegung schob er seine Arme unter Katya und stand mit ihr auf. Vanessa konnte sehen, wie wenig ihn das anzustrengen schien. Katya war eine schmächtige Person, leicht wie eine Feder. Titus legte sie vorsichtig aufs Sofa, das Sitzkissen nach wie vor unter ihrem Kopf.
    »Sollten wir nicht besser einen Arzt

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