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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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unterstrichen. Es waren ganz offenbar die Dinge selbst, die ihm wichtig waren, ihre Schönheit und Herkunft, und mitnichten der Umstand, dass er sie besaß. Er hatte eine außerordentliche Kenntnis von vielen Dingen, und dochschien er immer sehr interessiert an Vanessas Meinung; stets bemühte er sich herauszufinden, was sie wirklich dachte. Wenn er den Eindruck hatte, sie sei nur höflich, bohrte er weiter, bis sie ihm ihre aufrichtige Meinung gesagt hatte.
    Als sie vor zwei Wochen zu Besuch war, hatte er für eine im italienischen Stil gemalte Landschaft einen eher lauwarmen Beifall bekommen, und jetzt, bei diesem Besuch, bemerkte sie, dass er dieses Bild durch eine lebhafte, in strahlenden Farben gehaltene Ansicht einer kleinen Brücke in Venedig ersetzt hatte. Sie kannte die Stelle, denn sie war drei Jahre zuvor mit ihrem Mann dort gewesen, und die Erinnerung daran hatte sie für einen Moment durcheinandergebracht. Doch es gelang ihr, diese Irritation in ein Gefühl der Wut auf den Mann zu verwandeln, den sie verlassen hatte. Ihr fielen die langen Phasen des Schweigens bei den Mahlzeiten ein, der Abstand zwischen ihnen im Ehebett; die vielen, vielen Überstunden, die Bill zunehmend im Polizeirevier machen musste. Ihn hatte ihre Meinung überhaupt nicht interessiert; er hatte dafür gesorgt, dass sie sich ungeliebt und nutzlos fühlte, wie überflüssiger Ballast. Ganz anders als Titus, bei dem sie sich so lebendig fühlte – an jeder Stelle ihrer Seele und ihres Körpers.
    Und Titus war so geheimnisvoll. Das war mit ein Grund für ihre Begeisterung. Sie mochte das Fremdartige an ihm, seine vollendete Höflichkeit und die sanfte Entschiedenheit, mit der er redete – wie sorgfältig er seine Worte wählte, sie einzeln abzuwägen schien. Ihr war völlig klar, dass sie eigentlich nichts über Titus wusste, abgesehen von dem, was ihr Mann ihr erzählt und was sie vor zwei Jahren, zur Zeit des Swain-Prozesses, in der Zeitung gelesen hatte. Er war aus Antwerpen. Er hatte durch den Handel mit Diamanten ein Vermögen gemacht und hatte während des Krieges Juden zur Flucht aus Belgien verholfen. Danach war er nach England gekommen, nach Oxford. Hier war er Mäzen und Kunstsammler geworden, ein Mann von Einfluss und Ansehen, der allseits geschätzt wurde und in den höchsten Kreisen verkehrte.Warum also bemühte er sich um
sie
? Vanessa hatte sich diese Frage wohl schon tausendmal gestellt, seitdem Titus vor 18 Monaten begonnen hatte, sich für sie zu interessieren, ohne allerdings zu einer zufriedenstellenden Antwort zu kommen. Vielleicht war es der Kitzel der Jagd, die Tatsache, dass sie ganz offensichtlich nicht zu haben war; vielleicht war es sein Ehrgeiz, ein Lächeln in das Gesicht einer Person zu zaubern, die so traurig und verloren war; aber vielleicht fand Titus sie ja auch nur attraktiv. Vielleicht war sie ja so schön und faszinierend, wie er behauptete, der Welt all die Jahre vorenthalten, die sie in ihrem Haus in Nord-Oxford hockte, unglücklich verheiratet mit einem Misanthropen.
    Vanessa erhob sich vom Sofa und ging hinüber zum Kamin, um sich in dem ovalen Blattgold-Spiegel zu betrachten, der über dem Sims hing. Oh ja, sie sah anders aus. Das war deutlich zu erkennen. So gut wie seit langem nicht mehr. Ihre Wangen hatten ihre Farbe zurück, ihr dunkelbraunes Haar glänzte wieder, und sie war voller geworden, im Gesicht und am ganzen Körper. Wie lange hatte sie müde und abgemagert ausgesehen, und wie lange hatte sie sich deshalb nicht im Spiegel anschauen wollen. Sie kümmerte sich endlich wieder um sich selbst, nachdem sie im vorigen Jahr ihren Mann verlassen hatte. Sie hatte festgestellt, dass sie kochen konnte. Bill war stets ein Freund der britischen Hausmannskost gewesen, doch jetzt genoss sie es, die Markthalle an der High Street zu durchstreifen und Kräuter und Gewürze mit exotischen Namen zu kaufen, um dann Rezepte nachzukochen, von denen sie daheim nie zu träumen gewagt hätte. Hin und wieder endeten ihre Kochexperimente desaströs, aber das machte nichts, denn schließlich war niemand da, der daran hätte herummäkeln können. Als dann Titus zum Essen kam, merkte sie, dass sie wusste, was sie tat, und so war es auch nicht schwer zu glauben, dass seine Komplimente aufrichtig gemeint waren. Was für ein Gegensatz zu ihrem Mann, der über ihr Essen nie auch nur ein Sterbenswörtchen verloren hatte; er war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, umüberhaupt wahrzunehmen, was er sich in den

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