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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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müssen. Er versuchte sich zu entschuldigen, aber Vanessa wollte sein Gestottere gar nicht hören. Ein Sturm der Gefühle tobte in ihr – gerade hatte sie noch Todesangst empfunden; jetzt war sie sich nicht sicher, ob sie glücklich war, wieder daheim zu sein, oder nur glücklich, alles überstanden zu haben; dazu kam eine fast unerträgliche Neugier, was in dem roten Büchlein stand, für das sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatte.
    Mit zitternden Händen öffnete sie
Alice im Wunderland
, nahm Katyas Tagebuch heraus und reichte es ihrem Mann.
    »Lies vor«, sagte sie. »Fang vorne an und sag mir, was sie geschrieben hat.« Und sie legte den Kopf nach hinten auf die Sofakissen und schloss die Augen, um zuzuhören.
    Trave erkannte rasch, dass die erste Hälfte des Tagebuchs schon vor längerer Zeit verfasst worden war. Außer den handschriftlichenEinträgen gab es immer wieder Zeichnungen, vom Bootshaus, von Blackwater Hall, von David und dann Ethan, auch eine sehr gut getroffene Skizze von Osman, wie er lächelnd am Schreibtisch saß und eine halb gerauchte Zigarre in den Fingern hielt. Dann, nach Ethans Tod, folgten einige dichtbeschriebene Seiten, auf denen Katya ihrem Schmerz Ausdruck gegeben hatte. Dann brachen die fortlaufenden Einträge ab, um erst zwei Jahre später, im vorigen August, wieder einzusetzen.
    Zu Beginn hatte Trave Schwierigkeiten, Katyas Spinnenschrift zu entziffern, doch er gewöhnte sich rasch daran und las bald immer flüssiger:
     
    17. August 1960
    Ich fange jetzt wohl besser wieder an, Tagebuch zu schreiben – festzuhalten, was um mich herum geschieht. Ich habe es zu lange vernachlässigt, so wie ich auch mich selbst vernachlässigt habe. Es ist wohl an der Zeit, von vorne anzufangen, eine neue Seite aufzuschlagen …
    Gestern habe ich Jacob getroffen, Ethans Bruder. Wir saßen in einem Café im St.-Clement’s-Viertel, und er hat mir Dinge von Franz erzählt, bei denen es mir den Magen umdrehte. Er zeigte mir Bilder von Franz mit irgendwelchen Nazis, und mir war, als sei ich an zwei Orten gleichzeitig: In Belgien bei diesen armen Menschen, die man in Viehwaggons gepfercht und weggeschafft hatte, und hier in Oxford beim Kaffeetrinken in der Sonne. Und ich dachte daran, dass ich meine ganze Jugend mit Franz verbracht hatte, und fühlte mich schmutzig, als könnte ich das nie wieder abwaschen.
    Und plötzlich verstand ich, dass nicht David derjenige war, der Ethan getötet hat, sondern Franz. Ich habe keine Ahnung, warum ich das auf einmal wusste. Aber so war es. Ich fühlte mich wie der heilige Paulus auf der Straße nach Damaskus. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen, und ich konnte mit einem Mal sehen. Ich war immer noch dort, wo ich war, im selben Café, die Erde drehte sich immer noch um die Sonne, aber die Erde war jetzt nicht mehr die gleiche wie vorher, und auch die Sonne nicht.
    Aber Jacob hatte noch mehr auf Lager. Er sagte, mein Onkel würde mit Franz unter einer Decke stecken. Gemeinsam hätten sie seine Eltern und andere Juden getötet, um an ihre Diamanten zu kommen. Und dass sie auch Ethan getötet hätten, als er das Geheimnis von Franz entdeckt hatte. Er sagte, sie hätten David in eine Falle gelockt, um ihm den Mord an Ethan anzuhängen. Und ich habe ihm nicht geglaubt. Ich konnte ihm nicht glauben. Ich wollte es nicht. Titus ist mein Onkel. Ich bin bei ihm aufgewachsen. Er hat mir ein Zuhause gegeben. Ohne ihn hätte ich gar nichts. Doch dann erzählte mir Jacob von einem Brief, den Ethan ihm aus München geschickt hat, kurz vor seinem Tod. Darin schrieb er, er hätte etwas Lebenswichtiges entdeckt. Und mir fiel ein, wie Titus mich mit Jana zum Einkaufen geschickt hat an dem Tag, als Ethan wieder in England ankam. Wollte er mich vielleicht aus dem Weg schaffen? Ist er doch Teil der Verschwörung? Wäre er dazu fähig? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass es meine Aufgabe ist, das herauszufinden.
     
    »Was jetzt kommt, überspringe ich«, sagte Trave aufblickend. »Das sind nur Namen von irgendwelchen Deutschen, mit denen Claes in Belgien zu tun hatte. Jacob muss sie für Katya aufgezählt haben.«
    »Nichts von dem bisher taugt als Beweis, habe ich recht?«, sagte Vanessa und sah Trave an. »Als Beweis gegen Titus, meine ich.«
    Trave antwortete nicht und nickte nur, bevor er sich wieder dem Tagebuch zuwandte.
     
    Jacob sagte, er hätte schon versucht, ins Haus einzubrechen und nach
irgendwelchen Beweisen zu suchen, aber das hat nicht geklappt – Franz
hätte

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