Der König der Diamanten
David zur Folge gehabt, dass er wieder anfangen musste, sich Sorgen zu machen, mit wem er als nächstes seine zweieinhalb auf zweieinhalb Meter große Zelle und den stinkenden Pisspott würde teilen müssen.
Bitte keinen Wahnsinnigen
, betete er nach dem Ausschalten der Lichter zu einem Gott, an den er gar nicht glaubte.
Bitte keinen verdammten Psychopathen
. Aber er hätte sich keine Sorgen machen müssen. Eddie Earle, oder Easy Eddie, wie er sich von seinen Freunden gern nennen ließ, war alles andere als das.
Eddie besaß Selbstachtung. Hätte David die hervorstechendste Eigenschaft seines neuen Mitinsassen benennen sollen, hätte er sich für diese entschieden. Er weigerte sich, nur eine Nummer zu sein; er weigerte sich, dem System gegenüber klein beizugeben. David dachte anfangs, das würde zu endlosen Problemen mit dem Wachpersonal führen, zu Problemen, auf die er ohne weiteres verzichten konnte. Aber es kam anders. Eddie war problemlos imUmgang – so hatte er sich wahrscheinlich seinen Spitznamen eingehandelt. Die Wächter lachten über seine Witze und schikanierten ihn weniger als die anderen Gefangenen. Schlagartig profitierte davon auch David, denn Eddie kriegte so gut wie alles, was ihm in den Sinn kam. Weiches Toilettenpapier, frisches Obst, Zeitschriften, und bei einer besonderen Gelegenheit erschienen sogar wie von Zauberhand zwei Dosen Bier in der Zelle. Die Wächter schauten weg, und Eddie teilte alles mit David. »Weil Zellengenossen das nun einmal so machen«, sagte er.
»Du musst auf dich selbst achtgeben. Das ist das Geheimnis«, verkündete Eddie an dem denkwürdigen Nachmittag, an dem sie auf Davids Pritsche saßen und mit Starkbier einem Poster von Elizabeth Taylor im aufreizenden, tiefausgeschnittenen Kleid zuprosteten, das Eddie an der Wand gegenüber aufgehängt hatte.
»Liz muss das ja«, fuhr er schmunzelnd fort. »Stell dir vor, wie viel Zeit sie jeden Abend mit Schminktöpfchen und dem ganzen Zeugs verbringt, um sich für eine dieser Hollywood-Partys aufzudonnern. Monty Clift wartet draußen, geht auf und ab und fängt an zu schwitzen und ungeduldig zu werden, aber nein, sie muss so lange weitermachen, bis alles stimmt. Augenbrauen, Make-up, Lippenstift. Kein einziges verdammtes Haar, das nicht korrekt sitzt. Und weißt du warum, Davy? Weißt du warum?«
Die Frage war natürlich rhetorisch, und David nippte an seinem Bierchen, während er sich wie im siebten Himmel fühlte und auf die Antwort wartete.
»Weil sie auf sich selbst achtgibt. Deshalb.«
»Nicht ganz einfach hier drin, oder?«, sagte David trocken. Vom Königlichen Gefängnis in Oxford bis nach Beverly Hills, Kalifornien, war es ein weiter Weg.
»Ist es auch nicht«, stimmte Eddie zu. »Aber ich sag dir eins – auf sich achtzugeben, ist hier drinnen am allerwichtigsten. Weil hier versuchen sie in jeder einzelnen Minute des Tages, deinen Stolz zu brechen. Ich weiß, wovon ich rede – war schließlich oft genug imKnast. Der Punkt ist, Davy: Es spielt keine Rolle, wo du bist – ob in Hollywood oder zu Gast bei Ihrer Königlichen Hoheit. Du musst den Kopf oben behalten. So mache ich das. Und du auch, wenn du auch nur einen Funken Verstand besitzt. Was glaubst du, warum ich drüben im Fitness-Studio trainiere, wenn Freistunde ist? Warum versuche ich wohl, mich anständig zu ernähren?«, fragte Eddie und deutete mit dem Finger auf die Äpfel und Birnen, die auf dem wackligen Regal unter dem Poster mit Elizabeth Taylor sorgfältig aufgereiht waren.
»Mir ist aufgefallen, dass du dich ziemlich oft im Spiegel betrachtest, Eddie. Das geht wahrscheinlich auch in die Richtung«, sagte David, um das Gespräch ein wenig aufzulockern. Er war nicht unbedingt anderer Meinung als Eddie, was den Umgang mit dem Gefängnis betraf, doch es war bei ihm nun einmal so, dass er einen Widerwillen verspürte, sobald jemand ihn irgendwie belehren wollte. Und Eddies Art, auf sein Äußeres zu achten, hatte schon beinahe etwas Manisches. Jeden Morgen kauerte er eine Ewigkeit vor der zerbrochenen Glasscherbe, die an der hinteren Wand der Zelle angeschraubt war, und kämmte sein pechschwarzes Haar, bis der Scheitel aussah wie mit der Rasierklinge gezogen. Auch bestand er darauf, dass jeden Morgen der Barbier kam und sie beide rasierte, wobei sein besonderes Augenmerk auf den langen Koteletten lag, die er sich im Stil Elvis Presleys hatte wachsen lassen. Relativ schnell hatte David bemerkt, dass Eddie zwei Dinge ganz besonders liebte: Amerika
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